Auszug der aktuellen Rechtsprechung des Sozialgerichts Stuttgart (Stand: August 2019)

Datum: 02.08.2019

I Arbeitslosenversicherung 

  1. Einem Anspruch auf Leistungsfortzahlung nach § 146 Abs. 1 SGB III steht der Aufenthalt außerhalb des Nahbereichs der Agentur für Arbeit nicht entgegen. Aus dem Wortlaut des § 146 Absatz 1 Satz 1 SGB III geht nicht hervor, dass die Leistungsfortzahlung spätestens mit Ablauf der genehmigten Ortsabwesenheit endet, wenn die Arbeitsunfähigkeit während genehmigter Ortsabwesenheit und während des Zeitraums mit Anspruch auf Leistungsfortzahlung eintritt. 

Die Geschäftsanweisung 201607031 der Beklagten ist mit dem Wortlaut des § 146 SGB III nicht vereinbar und führt zu einer Schlechterstellung desjenigen, der während einer genehmigten Ortsabwesenheit arbeitsunfähig wird, gegenüber demjenigen, der während des „normalen“ Leistungsbezugs arbeitsunfähig wird, obwohl die in beiden Fällen fehlende Leistungsfähigkeit des arbeitsunfähig erkrankten Arbeitslosen einer sofortigen Vermittelbarkeit, welche die Residenzpflicht bezweckt, ohnehin entgegensteht. 

  • 146 Absatz 1 Satz 1 1. Alt. SGB III setzt keine Reiseunfähigkeit oder stationäre Behandlung des Arbeitslosen voraus. Dies ergibt sich zum einen schon aus dem Wortlaut der Vorschrift des § 146 Absatz Satz 1 SGB III, wonach die erste Alternative der unverschuldeten Arbeitsunfähigkeit im Vergleich zur zweiten Alternative gerade nicht auf eine stationäre Behandlung abstellt. 

Arbeitsunfähige Arbeitslose müssen nicht wie gesunde Arbeitslose erreichbar sein und sich im Nahbereich der Agentur für Arbeit aufhalten, da § 146 SGB III auf die Verfügbarkeit für die Leistungszahlung gerade verzichtet (Gerichtsbescheid vom 26.07.2018, S 3 AL 5552/17).

Die Beteiligten stritten darüber, ob dem Kläger Arbeitslosengeld für den Zeitraum einer im Ausland bescheinigten Arbeitsunfähigkeit zusteht.

Im Juli 2017 erkundigte sich der im Bezug von Arbeitslosengeld nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch stehende Kläger für den Zeitraum vom 27.07.2017 bis zum 16.08.2017 nach der Möglichkeit einer Ortsabwesenheit, um diese für eine Urlaubsreise in den Kosovo zu nutzen. Die Ortsabwesenheit wurde ihm von der Beklagten genehmigt.

Am 14.08.2017 teilte der Kläger der Beklagten aus dem Kosovo per E-Mail mit, dass er erkrankt und deshalb momentan nicht dazu in der Lage sei, nach Stuttgart zurückzufahren. Eine (deutsche) Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (Folgebescheinigung) vom 21.08.2017 bestätigt insoweit eine Arbeitsunfähigkeit des Klägers im Zeitraum vom 17.08.2017 bis voraussichtlich 25.08.2017. Darüber hinaus hat der Kläger eine albanische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 14.08.2017 vorgelegt, nach der er wegen einer akuten Gastritis vom 14.08.2017 bis 18.08.2017 arbeitsunfähig erkrankt sei.

Die Beklagte hob die vorangegangene Leistungsbewilligung wegen Wegfalls der Verfügbarkeit auf. Der Widerspruch des Klägers, mit dem dieser geltend machte, dass sein Anspruch auf Arbeitslosengeld nicht untergegangen sein könne, da er im maßgeblichen Zeitraum ununterbrochen arbeitsunfähig erkrankt gewesen sei und dies auch ohne jegliche Verzögerung und lückenlos nachgewiesen habe, wurde durch die Beklagte zurückgewiesen. Zur Begründung führt diese an, dass nach den (neuen) Geschäftsanweisungen der Beklagten die Leistungsfortzahlung bei Arbeitsunfähigkeit während genehmigter Ortsabwesenheit mit Ablauf der genehmigten Ortsabwesenheit ende, sofern sich der Versicherte nicht in stationärer Behandlung befinde und deshalb nicht an den Wohnort zurückkehren könne. Insofern habe sich seit Juli 2016 eine Änderung der fachlichen Weisungen zu § 146 Drittes Buch Sozialgesetzbuch ergeben. Die Bewilligung sei wegen fehlender Erreichbarkeit aufzuheben.

  1. Ein Bescheid über die Ablehnung eines Gründungszuschusses ist aufgrund eines Ermessensnichtgebrauchs rechtswidrig und die Beklagte zur Neubescheidung zu verurteilen, wenn sie entsprechend ihrer überregionalen Weisungen den Vermittlungsvorrang als Tatbestandsmerkmal und nicht als Ermessensgesichtspunkt behandelt. Eine Ermessensunterschreitung liegt jedenfalls dann vor, wenn die Agentur für Arbeit keine individuelle Prüfung des Falles vornimmt, sondern unter Angabe eines angeblich bestehenden Vermittlungsvorrangs pauschal die Gewährung des Gründungszuschusses ablehnt (Gerichtsbescheid vom 02.10.2018, S 6 AL 1479/18). 

Im zugrundeliegenden Verfahren begehrte der Kläger die Gewährung eines Gründungszuschusses. Die in § 93 SGB III genannten Tatbestandsvoraussetzungen lagen unstreitig vor. Obwohl die Agentur für Arbeit in fünf Monaten, die der Kläger bei ihr bereits arbeitslos gemeldet war, ihm keinen einzigen Vermittlungsvorschlag unterbreitete, lehnte sie die Gewährung eines Gründungszuschusses mit der Begründung ab, es bestünde ein Vermittlungsvorrang (vgl. § 4 SGB III).

Die Kammer hat die überregionalen Weisungen der Agentur für Arbeit überprüft. Hier wird angegeben, die Tatbestandsvoraussetzungen seien nur dann zu prüfen und das Ermessen auszuüben, wenn für den Betroffenen keine Stellenangebote gemeldet seien. Hieraus ergibt sich nach Auffassung der Kammer, dass die Beklagte in ihren Weisungen den Vermittlungsvorrang verabsolutiert. Die Prüfung eines Vorrangs der Vermittlung werde sogar noch vor Prüfung der Tatbestandsvoraussetzungen gezogen, weshalb ein Bescheid auf Grundlage dieser Weisungen an einem Ermessensnichtgebrauch leide. Im Falle des Klägers habe jedenfalls eine Ermessensunterschreitung vorgelegen, da die Beklagte keinen einzigen individuellen Gesichtspunkt seines Falles in der als solcher bezeichneten Ermessensausübung gewürdigt habe. Sie sei deshalb zur Neubescheidung zu verurteilen gewesen.

  1. Eine Regelung in einer Betriebsvereinbarung, wonach das 13. Monatsgehalt gestaffelt in monatlichen Raten ausgezahlt wird, stellt keine Verschiebung des Entstehungszeitpunkts dar (Gerichtsbescheid vom 28.01.2019, S 11 AL 3372/18). 

Die Beteiligten stritten darüber, ob ein 13. Monatsgehalt im Rahmen des Bezugs von Insolvenzgeld zu berücksichtigen ist. Der anzuwendende Tarifvertrag sieht hierzu vor, dass das 13. Monatsgehalt zum Ende der ersten Dezemberwoche („Auszahlungszeitpunkt“) gezahlt wird. Voraussetzung für den Anspruch sollte sein, dass der Arbeitnehmer mit Ablauf des Kalenderjahres 12 Monate ununterbrochen dem Betrieb angehört hat. Eine zwischen der Geschäftsleitung und dem Betriebsrat geschlossene Betriebsvereinbarung regelt hierzu, dass die Jahressonderzahlung im Jahr 2017 gestaffelt in monatlichen Raten von mindestens 1.000 € ab November 2017 ausgezahlt wird. Mit der Abrechnung April 2018 sollte nach dieser Regelung dann die Zahlung des Restbetrages erfolgen.

Nachdem am 01.04.2018 das Insolvenzverfahren gegen die Arbeitgeberin eröffnet wurde, beantragte der Kläger bei der Beklagten Insolvenzgeld. Dieses wurde ihm ohne Berücksichtigung des 13. Monatsgehalts bewilligt. Die Jahressonderzahlung habe keine Berücksichtigung finden können, da sie außerhalb des drei monatigen Insolvenzgeldzeitraumes (01.01.2018 bis 31.03.2018) entstanden sei. Der Kläger verweist darauf, dass durch die Regelung in der Betriebsvereinbarung nicht nur die Fälligkeit, sondern auch der Entstehungszeitpunkt des Anspruchs verschoben worden sei. Da diese neuen Entstehungszeitpunkte zum Teil im Insolvenzgeldzeitraum liegen, seien sie auch bei der Höhe des Insolvenzgeldes zu berücksichtigen.

Das Gericht hat die Klage abgewiesen. Die Betriebsvereinbarung habe den für die Entstehung des Anspruchs auf die Jahressonderzahlung entscheidenden Stichtag 31.12.2017 nicht verschoben. Die Regelung in der Betriebsvereinbarung stelle lediglich eine Stundungsvereinbarung dar. 

  1. Anders als die positive Entscheidung des Rentenversicherungsträgers über das Vorliegen von Erwerbsunfähigkeit (EU), lässt die negative Entscheidung des Rentenversicherungsträgers, dass keine EU vorliegt, die Fiktionswirkung des § 145 Abs. 1 Satz 1 SGB III (sog. Nahtlosigkeitsregelung) nicht entfallen (Anschluss an Bundessozialgericht, Urteil vom 09.09.1999, B 11 AL 13/99 R und Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 12.12.2003, L 8 AL 4897/02) (Urteil vom 06.05.2019, S 21 AL 1622/18). 

Der 1957 geborene Kläger meldete sich zum 08.08.2017 bei der Beklagten arbeitslos und beantragte die Gewährung von Arbeitslosengeld (Alg). Hierbei gab er an, seit über einem Jahr arbeitsunfähig erkrankt zu sein und aus gesundheitlichen Gründen in seiner Leistungsfähigkeit eingeschränkt zu sein. Die Beklagte ließ den Kläger nach Aktenlage begutachten und stelle hierbei fest, er sei nur unter drei Stunden täglich bzw. unter 15 Stunden wöchentlich für eine voraussichtliche Dauer von mehr als sechs Monaten leistungsfähig. Am 10.10.2017 teilte der für den Kläger zuständige Träger der gesetzlichen Rentenversicherung der Beklagten mit, ein Antrag auf Erwerbsminderungsrente sei mit Bescheid vom 05.10.2017 abgelehnt worden; der Kläger sei nicht erwerbsgemindert. Im Folgenden bewilligte die Beklagte dem Kläger Alg für die Zeit vom 08.08.2017 bis 09.10.2017; die befristete Bewilligung von Alg erfolge wegen des Wegfalls der Verfügbarkeit. Hiergegen richtete sich die zum Sozialgericht Stuttgart erhobene Klage.

Das Gericht hat der Klage stattgegeben und die Beklagte zur Gewährung von Alg auch über den 09.10.2017 hinaus verurteilt. Die Wirkung des § 145 Abs. 1 Satz1 SGB III bestehe darin, ein gesundheitliches Leistungsvermögen des Arbeitslosen bis zum Eintritt des in der Rentenversicherung versicherten Risikos der Erwerbsunfähigkeit (EU) zu fingieren. Diese Fiktion hindere die Arbeitsverwaltung daran, einen Anspruch auf Arbeitslosengeld mit der Begründung zu verneinen, der Arbeitslose sei wegen nicht nur vorübergehenden Einschränkungen der gesundheitlichen Leistungsfähigkeit objektiv nicht verfügbar. Diese positive Feststellung von EU durch den zuständigen Rentenversicherungsträger binde die Arbeitsverwaltung jedoch nicht, sondern eröffne ihr die Möglichkeit, nunmehr ohne Beschränkungen des § 145 SGB III die objektive Verfügbarkeit aufgrund eigener Feststellungen zu verneinen. Eine weitergehende Bindung an tatsächliche oder rechtliche Feststellungen des Rentenversicherungsträgers im Sinne einer Erweiterung des Anwendungsbereiches der Nahtlosigkeitsregelung bestehe nicht. Dies gelte auch für Ablehnungsbescheide des Rentenversicherungsträgers, die dieser auf einen Rentenantrag des Versicherten hin erteile. Ein derartiger Ablehnungsbescheid schränke den Anwendungsbereich der Nahtlosigkeitsregelung nicht ein und beende die Sperrwirkung nicht. Vorliegend habe der Kläger auch über den 09.10.2017 hinaus einen Anspruch auf Alg. Die objektive Verfügbarkeit werde über die Vorschrift des § 145 SGB III fingiert, da bei dem Kläger eine mehr als sechsmonatige Minderung der Leistungsfähigkeit vorliege. Die Fiktionswirkung sei auch nicht durch die Feststellung des Rentenversicherungsträgeres entfallen; der Rentenversicherungsträger habe das Vorliegen von EU verneint.

II Grundsicherung für Arbeitsuchende 

  1. Kosten, die einem Bezieher von Leistungen nach dem SGB II im Vollstreckungsschutzverfahren entstehen, weil er seiner Verpflichtung zur Räumung seiner Mietwohnung nicht nachkommt, können nicht als Kosten der Unterkunft vom Jobcenter übernommen werden (Gerichtsbescheid vom 16.04.2019, S 24 AS 6803/18, Berufung zum Landessozialgericht eingelegt)

Der Kläger hatte sich nach Kündigung durch seine Vermieterin und Räumungsklage in einem gerichtlichen Vergleich dazu verpflichtet, seine Mietwohnung zu einem bestimmten Termin zu räumen. Da er keine andere Wohnung fand und ihm Obdachlosigkeit drohte, blieb er jedoch auch nach Ablauf dieses Räumungstermins in der Wohnung und stellte einen Vollstreckungsschutzantrag beim Amtsgericht. Dieses setzte die Vollstreckung daraufhin für eine kurze Zeitspanne aus, setzte dafür aber einen Betrag von 850,00 Euro fest, den der Kläger als „Schadenersatz für die verlängerte Wohnraumnutzung in bar an den zuständigen Gerichtsvollzieher“ zu zahlen habe. Diesen Betrag verlangte der Kläger vom Jobcenter als Kosten der Unterkunft und Heizung im Sinne von § 22 SGB II erstattet.

Das Gericht wies die Klage ab, da die Kosten von 850,00 Euro nicht durch eine ordnungsmäßige Wohnraumnutzung, sondern gerade als Schadenersatz für eine rechtswidrige Weiternutzung der Wohnung nach Ablauf der Räumungsfrist durch den Kläger anfielen. Die ebenfalls entstandene Nutzungsentschädigung nach Beendigung des Mietvertrages hatte das Jobcenter bereits bis zum tatsächlichen Auszug des Klägers übernommen. Sofern man daneben auch die vom Kläger aufgrund der vollstreckungsgerichtlichen Auflage entrichteten 850,00 Euro unter die Kosten der Unterkunft i. S. d. § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II fassen würde, würde dies den Begriff überspannen.

  1. Für die Annahme einer Haushaltsgemeinschaft ist nicht zwingend erforderlich ist, dass diese in einer einzigen Wohnung vollzogen wird. Unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls kann auch bei getrennten Wohnungen von einer Einstehens- und Verantwortungsgemeinschaft ausgegangen werden (Beschluss vom 26.06.2019, S 18 AS 2033/19 ER). 

Die Antragsteller begehrten im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes Leistungen nach dem SGB II. Strittig war insbesondere die Frage, ob diese mit weiteren Personen, die unter einer anderen Wohnanschrift gemeldet waren, in einer Bedarfsgemeinschaft standen.

Das Gericht hat den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz abgelehnt. Das Zusammenleben in einem gemeinsamen Haushalt erfordere das Bestehen sowohl einer Wohn- als auch einer Wirtschaftsgemeinschaft (BSG, Urt. v. 23.08.2010 – B 4 AS 34/12 R, SozR 4-4200 § 7 Nr. 32). Dies erfordere aber nicht, dass sich das Zusammenleben in einer einzigen Wohnung vollziehe. Vielmehr könne auch bei getrennten oder mehreren Wohnungen (z.B. Ferien- oder Zweitwohnung) von einer Einstehens- und Verantwortungsgemeinschaft ausgegangen werden, wenn das gemeinsame Leben überwiegend in einer Wohnung oder als „funktionelles Zusammenleben“ stattfinde. Etwas Anderes dürfte auch der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts nicht zu entnehmen sein, denn dieses fordere nur das Zusammenleben in einer Wohnung. In welcher von mehreren Wohnungen dies geschehe und ob ein Zusammenleben auch in mehreren Wohnungen möglich sei, werde damit noch nicht festgelegt. Eine allein auf eine einzige Wohnung konzentrierte Sichtweise dürfte den realen Gegebenheiten nicht mehr entsprechen. Zudem bedeute dies gegenüber Verheirateten eine verfassungsrechtlich nicht unzweifelhafte Besserstellung von Einstehens- und Verantwortungsgemeinschaften.

  1. Bei Ehepartnern, die nicht in einer Haushaltsgemeinschaft zusammenleben, ist der Regelbedarf für Alleinstehende und nicht der Regelbedarf für Partner bei der Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II zu berücksichtigen. Ehegatten sind als dauernd getrennt lebend im Sinne des § 7 Abs. 3 Nr. 3 a) SGB II bereits anzusehen, wenn sie nicht nur vorübergehend keinen gemeinsamen Haushalt führen. Ein Trennungswille ist hierfür nicht erforderlich (Urteil vom 4.12.2018, S 8 AS 3575/18, bestandskräftig, Berufung wurde vom Beklagten zurückgenommen). 

Im zugrundeliegenden Fall lebte die seit 2016 verheiratete Klägerin aus verschiedenen nachvollziehbaren Gründen noch nicht mit ihrem Ehepartner, welcher aufstockend Leistungen nach dem SGB XII bezog, zusammen. Das beklagte Jobcenter bewilligte der Klägerin Leistungen nach dem SGB II unter Berücksichtigung des Regelbedarfes für Partner mit der Begründung, dass es für das Bestehen einer Bedarfsgemeinschaft unter Ehegatten darauf ankomme, dass entweder eine häusliche Gemeinschaft bestehe oder falls keine häusliche Gemeinschaft bestehe, dies nicht auf dem Trennungswillen eines der Ehegatten beruhe. Mangels Vorliegens eines Trennungswillens sei von einer Bedarfsgemeinschaft auszugehen.

Die Kammer hat der Klage auf Gewährung des Regelbedarfes für Alleinstehende stattgegeben. Nach Auffassung der Kammer sind – entgegen der Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 18. Februar 2010 (B 4 AS 49/09 R – juris) – bei der Auslegung des Begriffs des “nicht dauernd getrenntlebenden Ehegatten” im Sinne des § 7 Abs. 3 Nr. 3 a) SGB II die Grundsätze, die zum familienrechtlichen Begriff des “Getrenntlebens” (vgl. § 1567 Abs. I 1 BGB) entwickelt worden sind, nicht heranzuziehen. Aus dem gesetzgeberischen Konzept zur Gestaltung des Anspruchs auf Gewährleistung des Existenzminimums folge, dass das Vorliegen einer Bedarfsgemeinschaft, sofern hieran – wie in § 20 IV SGB II – leistungsrechtliche Konsequenzen geknüpft werden, stets das Bestehen einer Haushaltsgemeinschaft voraussetze. Die Berücksichtigung von nicht haushaltsangehörigen Personen bei der Festlegung des maßgeblichen Regelbedarfs der Leistungsberechtigten, wäre verfassungswidrig (so auch SG Mainz, Urteil v. 26. März 2013 – S 17 AS 1159/12, BeckRS 2013, 69223, beck-online). Dies schlage sich im Sozialhilferecht in der Regelung der § 20 Abs. 4 SGB II entsprechenden Regelbedarfsstufe 2 nach der Anlage zu § 28 SGB XII nieder, wonach das Bestehen einer Haushaltsgemeinschaft Mindestvoraussetzung für die Anwendung der für Partner vorgesehenen Regelbedarfsstufe 2 ist. Die Fingierung einer Haushaltsgemeinschaft verstoße zudem gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG, da hierin zum einen eine Ungleichbehandlung gegenüber eheähnlichen und lebenspartnerschaftsähnlichen Gemeinschaften im Sinne des § 7 Abs. 3 Nr. 3 c) SGB II zu Lasten der Ehegatten (und Lebenspartner) und zum anderen gegenüber nach dem SGB XII leistungsberechtigten Verheirateten und Lebenspartnern liege.

  1. Für die Berechnung des Einkommens nach § 2 Abs. 5 ALG II-V ist es unerheblich, ob vom Arbeitgeber bereitgestellte Verpflegung tatsächlich in Anspruch genommen wird (Urteil vom 28. März 2019, S 12 AS 4117/18, juris).

Der Kläger bezog aufstockend Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Von seinem Arbeitgeber erhielt er unentgeltliche Verpflegung. Das Jobcenter berücksichtigte diese gemäß § 2 Abs. 5 der Verordnung zur Berechnung von Einkommen sowie zur Nichtberücksichtigung von Einkommen und Vermögen beim Arbeitslosengeld II/Sozialgeld (ALG-II-VO) mit täglich 1 % des Regelsatzes als Einkommen. Hiergegen wandte sich der Kläger und trug vor, er habe die unentgeltliche Verpflegung nicht in Anspruch genommen.

Das Sozialgericht wies die Klage ab. Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 2 Abs. 5 ALG-II-VO komme es nur darauf an, ob unentgeltliche Verpflegung vom Arbeitgeber „bereitgestellt“ werde. Dies entspreche auch dem Sinn und Zweck, den der Gesetzgeber mit einer Pauschalierung der Regelleistung im SGB II verbunden habe. Ansonsten müsste das Jobcenter nämlich jeweils ermitteln, ob und ggf. wie oft ein Leistungsempfänger die unentgeltliche Verpflegung tatsächlich in Anspruch genommen hat. Die Vorschrift greife auch nicht in rechtswidriger Weise in das Selbstbestimmungsrecht der Leistungsberechtigten ein. Soweit ein Leistungsempfänger sich durch die vom Arbeitgeber zur Verfügung gestellte Verpflegung in seiner Entscheidung für eine bestimmte Ernährungsweise beeinträchtigt sehe, obliege es ihm, seinen entsprechenden Anspruch arbeitsvertraglich abzubedingen oder gegenüber dem Arbeitgeber darauf zu verzichten.

III. Rentenversicherung 

  1. Ein sogenannter „Schadensregulierer im Außendienst“, der nicht weisungsgebunden ist, Zeit, Ort und den Umfang seiner Tätigkeit frei bestimmen kann, und eigenes Personal beschäftigen kann, übt eine selbstständige, nicht sozialversicherungspflichtige Tätigkeit aus (Urteil vom 17.07.2018, S 24 R 7188/16, rechtskräftig).

Die Klägerin übernahm von verschiedenen Versicherungsunternehmen Aufträge zur Schadensregulierung in den Bereichen allgemeine Haftpflicht, Sach und Kraftfahrt und beauftragte zur Durchführung auch freiberuflich tätige Schadensregulierer. Diese begutachteten die Schäden vor Ort und erstellten dafür Berichte, die die Klägerin an die Versicherungsunternehmen weitergab. Die beklagte Rentenversicherung kam in einem Verfahren der Statusfeststellung nach § 7a SGB IV zu dem Ergebnis, dass die Tätigkeit eines solchen Außenregulierers als abhängige Beschäftigung bei der Klägerin sozialversicherungspflichtig in der gesetzlichen Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung sei.

Das Gericht entschied hingegen, dass im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtwürdigung die Merkmale überwögen, die für eine selbstständige, versicherungsfreie Tätigkeit sprächen: Der Schadensregulierer sei keinen Weisungen hinsichtlich Ort, Zeit und Umfang der von ihm ausgewählten Aufträge unterworfen und unterhalte eine eigene Betriebsorganisation mit eigenen Mitarbeitern, eigenem Büro, eigenem Fahrzeug für den Außendienst, eigenen Arbeitsmaterialien und Betriebshaftpflichtversicherung. Anders als festangestellten Außenregulierern hätten ihm weder Aufträge vom Disponenten der Klägerin zugewiesen werden können noch sei er zu einem festen Auftragsvolumen oder Vertretung anderer Schadensregulierer verpflichtet gewesen. Allein die Tatsache, dass er das von der Klägerin zur Verfügung gestellte EDV-Schadensbearbeitungssystem nutzte, rechtfertige entgegen der Ansicht der Beklagten nicht den Schluss, dass er in den Betrieb der Klägerin eingegliedert gewesen sei, da sich dieses EDV-System nur als ein branchenübliches Auftragsvermittlungsportal darstelle, mit dem die Aufträge der Klägerin hätten sichtbar gemacht und die Schadensfallbearbeitung auf elektronischem Wege einheitlich und schnell gewährleistet werden sollen.

  1. Zur Erfüllung des den Qualifikationsgruppen vorangestellten Grundsatzes für die Ausübung einer “entsprechenden” Tätigkeit reicht es aus, dass der Betreffende in einem seiner Ausbildung entsprechenden Bereich – also nicht artfremd – tätig war und Aufgaben wahrgenommen hat, die im Wesentlichen seinem Ausbildungsniveau entsprochen haben (Urteil vom 16.05.2019, S 20 R 3855/15, noch nicht rechtskräftig). 

Die Beteiligten stritten darüber, ob dem Kläger ab 01.09.2014 eine höhere Altersrente zusteht.

Der Kläger, der seine Erwerbsbiographie im Staatsgebiet der ehemaligen UdSSR zurücklegte, machte insbesondere geltend, er sei von der Beklagten fälschlich in der Zeit vom 10.12.1971 bis 15.06.1976 in die Qualifikationsgruppe 4 in den Bereich Post- und Fernmeldewesen eingestuft worden.

Die Beklagte wandte ein, der Qualifikationsgruppe 2 (Fachschulabsolventen) seien Personen zuzuordnen, die an einer Ingenieur- oder Fachschule in einer beliebigen Studienform oder extern den Fachschulabschluss entsprechend den geltenden Rechtsvorschriften erworben hätten und denen eine Berufsbezeichnung der Fachschulausbildung erteilt worden sei. Aufgrund des Fachschulabschlusses sei der Kläger zwar grundsätzlich in die Qualifikationsgruppe 2 einzustufen. Ausweislich des vorliegenden russischen Arbeitsbuches sei der Kläger in den streitigen Zeiträumen jedoch als Monteur bzw. Elektromechaniker beschäftigt gewesen. Nach seinen eigenen Angaben habe er im Rahmen dieser Tätigkeit Fernsprechstationen/Rechenmaschinen gewartet und repariert. Hierbei handele es sich um Tätigkeiten, die üblicherweise von Facharbeitern (nämlich gelernten Elektromechanikern) entsprechend der Qualifikationsgruppe 4 verrichtet würden. Im Übrigen würden auch in die Qualifikationsgruppe 4 Facharbeiter mit Vorgesetztenfunktion eingestuft werden.

Das Gericht gab der Klage teilweise statt. Der Kläger erfülle die Formalkriterien für die Einstufung in die Qualifikationsgruppe 2 -Fachschulabsolventen-, was zwischen den Beteiligten auch nicht streitig sei. Nach Ziffer 1 der Definition der Qualifikationsgruppe 2 gehörten hierzu Personen, die an einer Ingenieur- oder Fachschule in einer beliebigen Studienform oder extern den Fachschulabschluss entsprechend den geltenden Rechtsvorschriften erworben hätten und denen eine Berufsbezeichnung der Fachschulbildung erteilt worden sei. Der Kläger habe am 20.06.1969 von der Polytechnischen Fachschule Taschkent das Diplom “Elektrotechniker für leistungsgebundene Nachrichtentechnik und Rundfunk“ erhalten und verfüge damit über einen Fachschulabschluss. Entgegen der Auffassung der Beklagten scheitere die Einstufung in die Qualifikationsgruppe 2 nicht daran, dass der Kläger in den streitbefangenen Zeiträumen nicht eine seiner Fachschulqualifikation entsprechende Tätigkeit ausgeübt habe. Darauf, ob die erlangte Qualifikation für die ausgeübte Tätigkeit zwingend erforderlich sei, könne allein nicht abgestellt werden. Nach Auffassung der Kammer reiche es zur Erfüllung des den Qualifikationsgruppen vorangestellten Grundsatzes für die Ausübung einer “entsprechenden” Tätigkeit aus, dass der Betreffende in einem seiner Ausbildung entsprechenden Bereich – also nicht artfremd – tätig gewesen sei und Aufgaben wahrgenommen habe, die im Wesentlichen seinem Ausbildungsniveau entsprochen haben. Jede engere Auslegung würde zum einen die erworbene Berufsqualifikation als eigentliche Grundlage der Qualifikationsgruppeneinstufung konterkarieren und zum anderen auch der Regelvermutung nicht gerecht, dass bei bestimmtem Ausbildungsabschluss die sodann ausgeübte Tätigkeit dieser Ausbildung auch weitgehend entspreche. Das sei erst dann nicht mehr der Fall, wenn ein augenscheinliches Missverhältnis zwischen erworbener Qualifikation und ausgeübter Tätigkeit bestehe. Ein solches sei vorliegend nicht festzustellen. Nach dem vorgelegten Arbeitsbuch sei der Kläger in der Zeit vom 10.12.1971 bis zum 15.06.1976 als Monteur der Lohngruppe 5 in der Zentrale für Post- und Fernmeldewesen sowie in der Umsetzung als Elektromechaniker tätig gewesen. Zu seinen Aufgaben habe die Bedienung, Wartung und Reparatur der Fernsprechstationen gehört. Ob – wie vom Kläger vorgetragen – für diese Tätigkeit tatsächlich die Fachschulbildung im Bereich elektrisches Nachrichtenwesen und Radiofizierung Voraussetzung gewesen sei, könne dahinstehen. Zwar möge es sein, dass solche Arbeiten auch von Facharbeitern hätten erledigt werden können. Einem Gesellen mit einer über zweijährigen oder auch dreijährigen Berufsausbildung hätte dann allerdings die entsprechende Fachschulabschluss-Qualifikation gefehlt, mit der Folge, dass er nicht der Qualifikationsgruppe 2 zugeordnet werden könne, wie sie demjenigen mit der Qualifikation eines Technikers mit entsprechender Fachschulausbildung zukomme.

  1. Bei der Tätigkeit als Kraftfahrzeugmeister handelt es sich, soweit sie nicht im eigenen Betrieb erbracht wird, wegen der berufsspezifischen Eingliederung in die Betriebsabläufe um eine typische Arbeitnehmertätigkeit (Urteil vom 16.05.2019, S 20 R 1936/16). 

Streitig war, ob es sich bei der Tätigkeit des Beigeladenen in seiner Eigenschaft als Kraftfahrzeugmeister für die Klägerin, ein Betrieb im Bereich der Autoservices, um eine selbstständige Tätigkeit gehandelt hat.

Das Gericht hat die Klage abgewiesen. Für die Annahme einer selbstständigen Tätigkeit spreche zwar, dass der Beigeladene im Rahmen seiner Tätigkeit für die Klägerin nach seinen Angaben auch eigenes Werkzeug eingesetzt habe. Auch spreche für eine selbständige Tätigkeit die Tatsache, dass nach den Angaben des Beigeladenen im Verwaltungsverfahren keine konkreten zeitlichen und inhaltlichen Vorgaben gemacht worden seien und auch keine Urlaubsregelung bzw. Urlaubsvergütung sowie Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall vereinbart worden sei. Diesen Indizien für eine selbstständige Tätigkeit stehe jedoch entgegen, dass im streitigen Zeitraum eine wirtschaftliche Abhängigkeit des Beigeladenen von der Klägerin bestanden habe. Bereits unter Zugrundelegung seiner eigenen Angaben im Verwaltungsverfahren sei der Beigeladene im maßgeblichen Zeitraum ausschließlich für die Klägerin tätig gewesen. Der Beigeladene habe im maßgeblichen Zeitpunkt sein eigenes Gewerbe aufgegeben und für die Klägerin in einem zeitlichen Umfang gearbeitet, der zwar Schwankungen unterlag, jedoch annährend dem eines fest angestellten Arbeitnehmers in Vollzeit entsprochen habe, was in der mündlichen Verhandlung nicht bestritten worden sei und sich in der über mehrere Monate hinweg weitgehend konstanten Vergütung widerspiegele.

Eine selbstständige Tätigkeit sei nicht schon deshalb anzunehmen, weil der Beigeladene nicht in jedem Einzelfall verpflichtet gewesen sei, die Aufträge der Klägerin zu bearbeiten. Wie weit die Lockerung des Weisungsrechts in der Vorstellung des Gesetzgebers gehen könne, ohne dass deswegen die Stellung als Beschäftigter entfalle, zeigten beispielhaft die gesetzlichen Sonderregelungen zur Versicherungsfreiheit von Vorstandsmitgliedern einer Aktiengesellschaft in der Rentenversicherung und Arbeitslosenversicherung, die regelmäßig abhängig beschäftigt seien, auch wenn sie die Gesellschaft in eigener Verantwortung zu leiten hätten und gegenüber der Belegschaft Arbeitgeberfunktionen wahrnähmen.

Entscheidungsrelevant sei vielmehr, dass – sofern der Beigeladene einen Auftrag für die Klägerin ausführt habe – eine Eingliederung in den Betrieb der Klägerin vorgelegen habe. Diesbezüglich sei im vorliegenden Fall zum einen darauf abzustellen gewesen, dass der Beigeladene im Rahmen seiner Tätigkeit für die Klägerin letztlich im Wesentlichen seine Arbeitskraft als Kraftfahrzeugmeister zur Verfügung gestellt habe. Bei der Tätigkeit als Kraftfahrzeugmeister handele es sich bereits nach dem Tätigkeitsprofil um eine typische Arbeitnehmertätigkeit, soweit sie nicht im eigenen Betrieb erbracht werde. Zudem habe der Beigeladene unstreitig Zugriff auf sämtliche ortsgebundene Maschinen und Ersatzteile in den Räumlichkeiten der Klägerin gehabt. Im streitgegenständlichen Zeitraum hätten darüber hinaus regelmäßig morgendliche Absprachen zwischen dem Beigeladenen und dem Geschäftsführer der Klägerin stattgefunden, im Rahmen derer das jeweilige Tagesgeschäft abgestimmt worden sei. Habe sich im Rahmen einer Inspektion gezeigt, dass größere Reparaturen anstanden, die nicht von den jeweiligen Kostenvoranschlägen umfasst gewesen seien, so habe der Beigeladene das weitere Vorgehen mit dem Geschäftsführer der Klägerin abgestimmt. In diesem Zusammenhang habe der Beigeladene im maßgeblichen Zeitraum auch keinen Kundenkontakt gehabt. Die Aufträge seien vielmehr von dem Geschäftsführer der Klägerin entgegengenommen und bei Bedarf an den Beigeladenen weitergereicht worden. Die Kammer gehe zwar davon aus, dass der Beigeladene schon allein aufgrund seiner Qualifikation als Kraftfahrzeugmeister die Aufträge dann weitestgehend selbständig umgesetzt habe. Jedoch habe der Geschäftsführer der Klägerin in der mündlichen Verhandlung die Angaben des Beigeladenen zu 1 aus dem Verwaltungsverfahren bestätigt, wonach dieser – soweit erforderlich – auch mit den Lehrlingen im Betrieb der Klägerin zusammenwirkt habe und damit als ein in die Betriebsabläufe eingegliedertes „Glied einer Kette“ in Erscheinung getreten sei. Allein der Umstand, dass der Beigeladene eigene Arbeitskleidung getragen habe und sich dadurch möglicherweise optisch von den sonstigen Mitarbeitern der Klägerin abgehoben habe, vermöge an der Eingliederung in den Betrieb der Klägerin nichts zu ändern. Der Eindruck der Eingliederung in den Betrieb der Klägerin werde vielmehr dadurch noch verstärkt, dass die Tätigkeit des Beigeladene zu 1 im Anschluss an den streitgegenständlichen Zeitraum ab Januar 2012 nahtlos und gewollt in eine Festanstellung in Vollzeit bei der Klägerin übergegangen sei.

  1. Die Einrede eines Erben nach § 1990 BGB ist nicht bereits im Anfechtungsprozess gegen einen Erstattungsbescheid, sondern erst im Verwaltungsvollstreckungsverfahren zu berücksichtigen. Eine vom Kläger geltend gemachte Dürftigkeit bzw. Unzulänglichkeit des Nachlasses lässt die Rechtmäßigkeit des Erstattungsbescheides der beklagten Rentenversicherung unberührt. Darüber hinaus ist eine Einschränkung der angefochtenen Bescheide durch gerichtliche Entscheidung dahingehend, die Beschränkung der Haftung auf den Nachlass vorzubehalten, nicht geboten (Urteil vom 20.03.2019, S 25 R 5546/17, Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg eingelegt).

Die Beteiligten stritten über die Rechtsmäßigkeit eines Erstattungsverlangens der beklagten Rentenversicherung gegenüber dem Kläger. Der Kläger ist Erbe seiner verstorbenen Mutter, die von der Beklagten eine Hinterbliebenenrente bezog. Während des Rentenbezugs erzielte die Mutter des Klägers Einkommen aus selbständiger Tätigkeit, das sie zu keiner Zeit gegenüber der Beklagten angab. Durch die beklagte Rentenversicherung wurde gegenüber der Mutter des Klägers eine Überzahlung der Rente festgestellt. Zwischen den Beteiligten war streitig, ob die Einrede der Dürftigkeit des Nachlasses nach § 1990 BGB bereits im Anfechtungsprozess gegen den Erstattungsbescheid oder erst im Verwaltungsvollstreckungsverfahren zu berücksichtigen ist.

Diese Frage hat die Kammer zugunsten der beklagten Rentenversicherung beantwortet. Die vom Kläger geltend gemachte Dürftigkeit bzw. Unzulänglichkeit des Nachlasses lasse die Rechtmäßigkeit des Erstattungsbescheides der Beklagten unberührt. Dies ergebe sich sowohl aus dem Gesetzeswortlaut des § 1990 BGB als auch aus der Systematik der einschlägigen vollstreckungsrechtlichen Normen. Die Überlegung, dass im Falle einer öffentlich-rechtlichen Erstattungsforderung die Anfechtungsklage einem ähnlichen Zweck wie die Vollstreckungsgegenklage (§ 767 ZPO) diene, greife nach Auffassung der Kammer nicht durch. Beide Klagearten seien schon deshalb nicht miteinander gleichzusetzen, weil mit der Vollstreckungsgegenklage regelmäßig nur solche Gründe gegen die Vollstreckung vorgebracht werden könnten, die nach Erlass des zu vollstreckenden Verwaltungsaktes entstanden sind. Die vom Kläger erhobene Einrede des § 1990 BGB gebiete auch keine gerichtliche Einschränkung der angefochtenen Bescheide dahingehend, die Beschränkung der Haftung auf den Nachlass vorzubehalten. Denn ein solcher Vorbehalt sei in § 5 Abs. 1 VwVG i. V. m. § 265 AO nicht vorgesehen, so dass der Kläger die Haftungsbeschränkung im Verwaltungsvollstreckungsverfahren auch ohne vorherigen Haftungsvorbehalt geltend machen könne.

  1. Der Anscheinsbeweis gilt auch für die Wirksamkeit der Erstattung eines Versicherungsbeitrags und dessen tatsächlicher Auszahlung. Dieser Anschein ist durch die im Versicherungskonto hinterlegten Daten gegeben (Urteil vom 19.12.2018, S 25 R 2586/16, Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg eingelegt).

Der Kläger begehrte von der beklagten Rentenversicherung eine höhere Altersrente. Seitens Beklagten wurde dem Antrag des Klägers nicht entsprochen, da auf seinen Antrag hin eine Auszahlung seiner Beiträge für einen Zeitraum 00.00.1984 bis 00.00.1993 mit Bescheid verfügt worden sei und die Beträge auch zur Auszahlung gelangt seien. Der Kläger trug im Wesentlichen vor, er habe zu keiner Zeit eine Beitragserstattung durch die Beklagte erhalten. Dem Verwaltungsvorgang ließe sich weder der Rückerstattungsbescheid noch Nachweise für eine Auszahlung entnehmen. Dafür, dass niemals eine Rückerstattung erfolgt sei, spreche auch, dass die rechtlichen Voraussetzungen für eine Rückerstattung nach § 210 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) auch in der zum Zeitpunkt der angeblichen Beitragsrückerstattung geltenden Fassung nicht vorgelegen hätten.

Die Kammer hat die Klage abgewiesen. Die vorliegende Beweislage habe dafür gesprochen, dass über den Antrag auf Beitragserstattung bestandskräftig entschieden und die Beitragserstattung an den Kläger ausgezahlt worden ist. Der Anscheinsbeweis gelte auch für die Wirksamkeit von Beitragserstattungen und die konkrete Auszahlung. Dieser Anschein sei durch die im Versicherungskonto hinterlegten Daten gegeben. Zwar hätten der Beklagten die zugrundeliegenden Unterlagen nicht mehr vorgelegen, da diese nach ihren Ausforstungsrichtlinien vernichtet worden seien. Die Daten seien jedoch in das elektronisch geführte Konto übertragen worden, wobei diese Erfassung nicht händisch durch einen Sachbearbeiter, sondern elektronisch erfolgt war. Die Kammer konnte darüber hinaus offenlassen, ob die Beitragsauszahlung rechtmäßig erfolgt war, denn aus einer etwaigen Rechtswidrigkeit der Auszahlung könne nicht geschlossen werden, dass sie tatsächlich auch nicht erfolgt ist.

  1. Zur sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung eines „Compositing Artist“ im Rahmen einer Kinofilmproduktion (Urteil vom 27.02.2019, S 11 R 6116/17). 

Die Klägerin ist ein Unternehmen im Bereich der digitalen visuellen Effekte, das u.a. mit Filmstudios zusammenarbeitet. Hierfür beschäftigte sie die Beigeladene für mehrere Wochen im Rahmen eines Auftrags für eine Kinoproduktion als „Compositing Artist“. Die Tätigkeit umfasste jegliche Form der digitalen Filmnachbearbeitung am Computer. Mithilfe von Spezialsoftware fügte die Beigeladene dem bereits vorhandenen Filmmaterial visuelle Effekte hinzu. Der Auftraggeber teilte ihr hierzu vorab mit, was genau am Filmmaterial geändert bzw. hinzugefügt werden solle. Während der Projektdauer gab es mehrere Zwischenpräsentationen, um den Fortschritt zu beurteilen und gegebenenfalls neue Wünsche der Klägerin bzw. des Filmstudios abzustimmen. Eine feste Arbeitszeit war für die Beigeladene nicht vereinbart. Die Tätigkeit wurde aber aufgrund einer Geheimhaltungsvereinbarung stets am Betriebssitz der Klägerin unter Verwendung der dort zur Verfügung gestellten Arbeitsmittel ausgeführt. Die Beigeladene erhielt für ihre Aufgabe ein fest vereinbartes Tageshonorar.

Das Gericht hat die Klage abgewiesen und kam dabei zu dem Ergebnis, dass die Tätigkeit eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung dargestellt habe. Die Beigeladene sei in den Betrieb der Klägerin eingegliedert gewesen. So habe sie genaue Angaben erhalten, welche visuellen Effekte sie den bereits bestehenden Bildern hinzufügen sollte. Sie sei dabei Teil eines weltweit aufgestellten Produktionsprozesses gewesen. Grundlage für ihre Tätigkeit seien die vorgegebenen Wünsche der Auftraggeber im Rahmen des zugrundeliegenden Drehbuchs. Diese Geschichte habe quasi den Rahmen und damit die Grenzen ihrer künstlerischen Freiheit gebildet. So sei insbesondere auch von Vornherein geklärt gewesen, welche Stimmung mit den von ihr erzeugten zusammengesetzten Bildern erzeugt werden solle. Die Eingliederung in den Betrieb zeige sich auch darin, dass sie an Zwischenpräsentationen teilnahm, um Änderungswünsche der Klägerin bzw. des Filmherstellers abzustimmen. Damit habe sie funktionsgerecht am Arbeitsprozess der Klägerin teilgenommen. Eine programmgestaltende Funktion – wie von der Klägerin argumentiert – komme ihr nicht zu. Gegen eine abhängige Beschäftigung spreche auch nicht, dass die Beigeladene eigenes Equipment zu Hause besitzt und sie die streitige Tätigkeit somit auch in ihrem häuslichen Arbeitszimmer hätte ausüben können. Entscheidend sei vielmehr, dass die geschuldete Leistung aufgrund der vorliegenden Geheimhaltungsvereinbarung in der tatsächlich durchgeführten Art und Weise nicht ohne die von der Klägerin zur Verfügung gestellten Arbeitsmittel und auch nicht außerhalb deren Produktionsräume hätte erbracht werden können.

  1. Gegen die Vorschrift des § 1a Fremdrentengesetz (FRG) bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken (Gerichtsbescheid vom 10.12.2018, S 21 R 6182/17, Berufung anhängig: L 4 R 144/19). 

Der 1952 in Rumänien geborene Kläger besitzt die deutsche und die rumänische Staatsbürgerschaft; er ist weder als Vertriebener noch als Spätaussiedler im Sinne des Bundesvertriebenengesetzes (BVFG) anerkannt. Auf entsprechenden Antrag bewilligte die Beklagte dem Kläger ab dem 01.12.2017 eine Regelaltersrente. Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch. Mit der Berechnung der Entgeltpunkte bestehe kein Einverständnis. Für die Arbeitszeiten, die er in Rumänien absolviert habe seien keine Entgeltpunkte berechnet worden. Den Widerspruch wies die Beklagte als unbegründet zurück. Der Kläger sei weder Vertriebener noch Spätaussiedler und falle damit nicht unter den Anwendungsbereich des Fremdrentengesetzes (FRG). Eine Berücksichtigung der in Rumänien zurückgelegten Arbeitszeiten nach §§ 15, 16 FRG könne demnach nicht erfolgen. Hiergegen hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Stuttgart erhoben. Dass das FRG nur auf Vertriebene und denen gleichstellte Personen, Spätaussiedler oder Heimatlose Anwendung finde, stelle eine Diskriminierung von Menschen anderer Herkunft dar. Es erschließe sich nicht, warum etwa Aussiedler, die eigentlich vor hunderten von Jahren als Auswanderer Deutschland auf eigenen Wunsch verlassen hätten und dafür Vorteile erhalten hätten, so gestellt würden als hätten sie im Herkunftsland zurückgelegtes Berufsleben in der Bundesrepublik Deutschland verbracht. Es sei nicht nachvollziehbar, weshalb das Eingliederungsprinzip für diese Menschen, aber nicht für ihn gelten solle, der seit 29 Jahren in Deutschland lebe, deutscher Staatsbürger sei und seine Integration erfolgreich durchgeführt habe.

Das Gericht hat die Klage abgewiesen. Der Kläger habe mangels Anspruchsgrundlage keinen Anspruch auf Bewertung der in Rumänien zurückgelegten Zeiten mit Entgeltpunkten. Unstreitig seien für die Zeiten keine Pflichtbeiträge nach Bundesrecht entrichtet worden. Die Vorschriften des FRG fänden auf den Kläger, der weder als Vertriebener noch als Spätaussiedler anerkannt sei, keine Anwendung (vgl. § 1a FRG). Gegen die Vorschriften des § 1a FRG bestünden keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Dafür, nur anerkannte Vertriebene sowie Spätaussiedler in die entsprechenden Begünstigungen des FRG einzubeziehen, bestehe ein sachlicher, den Maßstäben des allgemeinen Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) genügender Grund, welcher im sog. „Kriegsfolgenschicksal“ zu sehen sei. Dieses werde bei deutschen Volkzugehörigen aus den Republiken der ehemaligen Sowjetunion vermutet (§ 4 Abs. 1 BVFG) und sei von deutschen Volkszugehörigen aus den übrigen Aussiedlungsgebieten, de facto namentlich aus Polen und Rumänien, glaubhaft zu machen (§ 4 Abs. 2 BVFG). Es stelle den sachlichen Grund dar, nur anerkannten Vertriebenen und Spätaussiedlern die entsprechenden Begünstigungen des FRG zukommen zu lassen.

IV. Gesetzliche Krankenversicherung 

  1. Ein Krankenhaus ist nicht verpflichtet, für die Abrechnung der Prozedur „Neurologische Komplexbehandlung des akuten Schlaganfalls: mehr als 72 Stunden“ (Nr. 8-981.1 OPS 2012) die entsprechenden gesamten Strukturmerkmale ohne Vorliegen von konkreten und substantiierten Zweifeln seitens der Krankenkasse, nachzuweisen (Urteil vom 31.10.2018, S 19 KR 7070/16, Berufung anhängig: L 4 KR 4398/18). 

Streitig war eine Krankenhausvergütung. Die beklagte Krankenkasse zweifelte das Vorliegen der Voraussetzungen der seitens des klägerischen Krankenhauses abgerechneten Prozedur „Neurologische Komplexbehandlung des akuten Schlaganfalls: mehr als 72 Stunden“ (Nr. 8-981.1 OPS 2012) an. Nachdem im gerichtlichen Verfahren die gesamte Patientenakte dem MDK zu Überprüfung übersandt wurde, kam dieser zu dem Ergebnis, dass die Dokumentation zum OPS 2012 8-981.1 vollständig gewesen ist. Daraufhin forderte die Beklagte die Klägerin auf, das Vorliegen der strukturellen Mindestmerkmale dieser Prozedur (unter anderem die 24-stündige ärztliche Anwesenheit, die 24- stündige Verfügbarkeit der zerebralen Angiographie, der digitalen Subtraktionsangiographie, der CT Angiographie oder der MR Angiographie, die kontinuierliche Möglichkeit zur Fibrinolysetherapie des Schlaganfalls sowie der unmittelbare Zugang zu neurochirurgischen Notfalleingriffen sowie zu gefäßchirurgischen und interventionell-neuroradiologischen Behandlungsmaßnahmen) nachzuweisen. Diese Strukturmerkmale habe der MDK nicht überprüft. Die Klägerin lehnte dies ab.

Die Kammer verurteilte die Beklagte zur Zahlung der eingeklagten Krankenhausvergütung. Die Klägerin sei nicht verpflichtet, die für die Abrechnung des oben genannten OPS erforderlichen gesamten Strukturmerkmale ohne Vorliegen von konkreten und substantiierten Zweifeln seitens der Beklagten nachzuweisen. Weder die Beklagte noch der MDK haben Anhaltspunkte angegeben, wieso welches Strukturmerkmale wann genau nicht vorgelegen haben soll. Solche Anhaltspunkte seien auch sonst nicht ersichtlich gewesen. Es existiere keine generelle Verpflichtung der Klägerin für den Einzelfall der Abrechnung die gegebenenfalls erforderlichen strukturellen Merkmale nicht nur im Einzelnen darzulegen, sondern auch nachzuweisen. Dies würde die Anforderungen für die Leistungsabrechnung eines Krankenhauses in nicht gerechtfertigter Weise überspannen, da es zu einem hohen Verwaltungsaufwand führen würde. Zudem bestünden auch datenschutzrechtliche Bedenken gegen eine generelle Verpflichtung der Klägerin alle Strukturmerkmale gegenüber der Beklagten dazulegen und nachzuweisen. Es handele sich bei diesen Nachweisen auch nicht um Sozialdaten im Sinne des § 276 Abs. 2 SGB V.

  1. Die gesetzliche Krankenkasse hat die Kosten für eine ambulante Electromotive Drug Administration (EMDA®) Therapie nicht zu tragen (Urteil vom 14.03.2019, S 19 KR 1603/18, Berufung anhängig: L 5 KR 1260/19). 

Die unter einer Interstitiellen Zystitis (chronische, abakterielle Blasenentzündung) leidende Klägerin begehrte von ihrer gesetzlichen Krankenkasse die Kostenerstattung für die bereits durchgeführte ambulante Electromotive Drug Administration (EMDA®) Therapie sowie die Übernahme der entsprechenden zukünftig anfallenden Kosten. Die EMDA® Methode basiert auf dem Prinzip der Iontophorese und der Elektrophorese. Dabei können ionisierte Medikamente oder nichtionisierte Medikamente durch ein hydratisiertes Trägermolekül auf elektrochemischem Weg in tiefere Schichten der Harnblasenwand eingebracht werden. So wird mit Hilfe eines elektrischen Feldes eine Kombination von Medikamenten in die Blasenwand eingebracht. Hierzu wird ein Elektrodenkatheter, über welchen die Medikamente in die Blase eingebracht werden, durch die Harnröhre in die Blase eingelegt. Dieser Katheter wird mit einem Strom erzeugenden Gerät und zwei auf dem Unterbauch angebrachten Hautkontaktelektroden verbunden. Über diese Verbindung wird ein Stromfeld aufgebaut, welches dafür sorgt, dass die Medikamente durch die Schleimhaut auch bis in die tieferen Schichten der Blasenwand eindringen (Iontophorese). Die Kasse lehnte die Kostenerstattung sowie die zukünftige Übernahme der Kosten für die EMDA® Therapie ab.

Die Kammer hat die Klage abgewiesen. Es bestehe weder ein Anspruch auf Kostenübernahme in der Zukunft noch auf Kostenerstattung der bereits erfolgten Therapieeinheiten. Es handele sich um eine Neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode (NUB), die noch nicht zur vertragsärztlichen Behandlung zugelassen sei. Ein Ausnahmefall im Sinne der Rechtsprechung, in dem dennoch ein Anspruch auf Erbringung der Methode zu Lasten der Gesetzlichen Krankenversicherung bestehe, liege nicht vor. Somit komme es auch nicht darauf an, dass die S2K Leitlinie Diagnostik und Therapie der Interstitiellen Cystitis (IC/BPS) vom 30.09.2018 unter Punkt 3.5.4. die Therapie mittels EMDA® darstellt und eine Behandlungsempfehlung in Form eines starken Konsenses von 100% abgibt.

  1. Ein Kostenerstattungsanspruch nach § 13 Abs 3 SGB V reicht nicht weiter als ein entsprechender Sachleistungsanspruch des Versicherten gegen seine Krankenkasse und setzt grundsätzlich voraus, dass die selbst beschaffte Behandlung zu den Leistungen gehört, welche die Krankenkassen allgemein in Natur, als Sach- oder Dienstleistung, zu erbringen haben. 

Wird ein Hilfsmittel als untrennbarer Bestandteil einer neuen vertragsärztlichen Behandlungs- oder Untersuchungsmethode eingesetzt, ist es sowohl leistungsrechtlich wie leistungserbringungsrechtlich erst nach einer positiven Empfehlung des Gemeinsamen Bundesausschusses Gegenstand der Leistungspflicht der Krankenkassen.

 Das Gericht hat grundsätzlich nicht darüber zu entscheiden, ob eine medizinische Behandlungsmethode anerkennungswürdig und im Einzelfall erfolgversprechend ist. Vielmehr ist grundsätzlich maßgeblich, welcher medizinische Standard allgemein anerkannt ist und ob die zu beurteilende Methode diesem medizinischen Standard entspricht. Den Gerichten ist damit prinzipiell eine Zurückhaltung im Hinblick auf medizinisch-wissenschaftliche Auseinandersetzungen um die „richtige“ Heilmethode auferlegt. Es ist daher nicht Aufgabe der Gerichte, die in einem ordnungsgemäßen Verfahren getroffene Entscheidung, mit der der Gemeinsame Bundesausschuss eine neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode von der Anwendung zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen hat, auf ihre medizinische Richtigkeit inhaltlich zu überprüfen. 

Seit dem Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses vom 16.06.2016 stellt die kontinuierliche interstitielle Glukosemessung mit sog. Real-Time-Messgeräten (rtCGM) für Diabetikerinnen und Diabetiker, die einer intensivierten Insulintherapie bedürfen, eine Leistung der gesetzlichen Krankenkassen dar. Die Anwendung in der vertragsärztlichen Versorgung ist durch den Gemeinsamen Bundesausschuss hierbei jedoch mit bestimmten Qualitätssicherungen und Vorgaben verbunden worden. So müssen die einsetzbaren Messgeräte gerade als Medizinprodukt zur kontinuierlichen interstitiellen Glukosemessung mit Real-Time-Messung (rtCGM) zugelassen sein und über eine Alarmfunktion mit individuell einstellbaren Glukosegrenzwerten verfügen.

(Gerichtsbescheid vom 29.01.2019, S 3 KR 2768/16).

Die Beteiligten stritten zuletzt noch darüber, ob die Kosten für Verbrauchsmaterialien (Sensoren) für ein vom Kläger bereits selbst beschafftes System zur kontinuierlichen Glukosemessung von der beklagten Krankenkasse des Klägers zu übernehmen sind.

Der Kläger leidet an Diabetes mellitus Typ I und wurde deshalb von der Beklagten bereits mit einer Insulinpumpe ausgestattet. Im August 2015 beantragte der Kläger bei der beklagten Krankenkasse die nachträgliche Erstattung der Kosten für ein System zur kontinuierlichen Glukosemessung (Continuous Glucose Monitoring Assistant [CGM], Modell FreeStyle Libre der Firma Abbott inklusive der dazugehörigen Sensoren). Der Kläger gab hierbei an, das System bereits selbst beschafft zu haben und dieses seit März 2015 auf Anraten seines Hausarztes zu nutzen. Hierdurch entfalle das regemäßige Stechen in die Fingerkuppen bzw. dieses sei nur noch zur Gegenkontrolle notwendig. Der größte Vorteil liege indes in der Aufzeichnung des Blutzuckerverlaufes.

Die Beklagte lehnte den Antrag des Klägers auf nachträgliche Erstattung der bereits angefallenen Kosten für das CGM-System sowie die Kostenübernahme für weitere Sensoren ab. Zum einen scheide die nachträgliche Kostenerstattung im Hinblick auf das Sachleistungsprinzip und die Nichteinhaltung des Beschaffungsweges aus. Zum anderen sei zu beachten, dass neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden nach § 135 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) in der vertragsärztlichen Versorgung zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen nur dann erbracht werden könnten, wenn der Gemeinsame Bundesausschuss auf Antrag der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, einer Kassenärztlichen Vereinigung oder des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen (GKV-Spitzenverband) hierzu eine Empfehlung abgegeben habe, was vorliegend nicht der Fall sei.

  1. Es besteht kein Anspruch gem. § 27 SGB V (i.V.m § 13 Abs. 3 SGB V) auf Kostenübernahme/- erstattung für eine dendritische Zelltherapie,, da der GBA dazu noch keine Empfehlung gem. § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SGB V abgegeben hat. Ein Anspruch lässt sich auch nicht auf § 2 Abs. 1a SGB V stützen, da für die bestehende Erkrankung (invasiv duktales Mammakarzinom) eine allgemein anerkannte, medizinischen Standards entsprechende Behandlung zur Verfügung steht (Urteil vom 14. Dezember 2018, S 10 KR 6930717).
  1. Bei einer Erkrankung an Retinitis pigmentosa, einer erblich bedingten Netzhauterkrankung, besteht auf Grundlage des § 2 Abs. 1a SGB V ein Anspruch auf Kostenerstattung für die Behandlung mit der Transkornealen Elektrostimulationstherapie unter Verwendung des OkuStim-Systems, wenn sich die Krankheit nahe dem Endstadium und damit der Erblindung befindet, da eine medizinische Therapie derzeit nicht zur Verfügung steht und die Transkorneale Elektrostimulationstherapie eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf bietet (Urteil vom 18.06.2019, S 9 KR 1689/18).

Die Beteiligten stritten darüber, ob die Klägerin einen Anspruch auf Kostenerstattung für die Behandlung mit der Transkornealen Elektrostimulationstherapie hat. Die Klägerin, die an Retinitis pigmentosa nahe dem Endstadium erkrankt ist, beantragte bei der Beklagten zunächst die Übernahme der Kosten für die Behandlung mit der Transkornealen Elektrostimulationstherapie unter Verwendung des OkuStim-Systems. Nach Ablehnung des Antrags auf Kostenübernahme führte die Klägerin diese Behandlung auf eigene Kosten seit Januar 2018 durch. Den Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte zurück mit der Begründung, dass es sich bei Retinitis pigmentosa weder um eine akut lebensbedrohliche Erkrankung noch um eine damit wertungsmäßig vergleichbare Erkrankung handle und zudem auch keine Anhaltspunkte für eine nicht ganz fernliegende Aussicht auf Heilung oder eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf vorliegen.

Das Gericht gab der Klage statt. Es bestehe ein Anspruch auf Kostenerstattung aus § 2 Abs. 1a SGB V, da die drohende Erblindung wertungsmäßig mit einer lebensbedrohlichen Erkrankung vergleichbar sei, eine medizinische Therapie zur Behandlung dieser Erkrankung derzeit nicht zur Verfügung stehe und zudem eine nicht ganz fernliegende Aussicht auf eine positive Einwirkung der Transkornealen Elektrostimulationstherapie auf den Krankheitsverlauf bestehe. Dabei schade es nicht, dass der Nutzen dieser Therapie noch nicht wissenschaftlich nachgewiesen sei. Aufgrund der hoffnungslosen Situation der Klägerin sei ein geringerer Evidenzgrad an den Nutzen der streitgegenständlichen Therapie zu stellen. Ausreichende Indizien für eine positive Einwirkung ergeben sich aus den Anwendungsbeobachtungen und kleineren Studien in Zusammenschau mit dem wissenschaftlichen Erklärungsmodell der Methode.

  1. Versicherte der Gesetzlichen Krankenversicherung, die an einer Myopie sowie einem Astigmatismus leiden, haben keinen Anspruch auf eine Laser-Korrektur der Augen (Urteil vom 06.02.2019, S 23 KR 4535/18, rechtskräftig).

Die 1987 geborene Klägerin leidet an einer beidseitigen Myopie (Kurzsichtigkeit) und einem Astigmatismus (Stabsichtigkeit). Im Dezember 2017 beantragte sie bei der beklagten Krankenkasse die Übernahme der Kosten für eine Augenlaserbehandlung (ReLex-Smile-Lasik) aufgrund einer Unverträglichkeit von Brille und Kontaktlinsen bei hoher Sehschwäche. Die Beklagte lehnte den Antrag ab. Die beantragte Laser-Operation zur Korrektur der Refraktion sei nicht von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenkassen umfasst.

Das Gericht hat die behandelnden Ärzte der Klägerin schriftlich als sachverständige Zeugen gehört und im Anschluss die Klage abgewiesen. Bei der von der Klägerin aufgrund ihrer Fehlsichtigkeit begehrten Refraktiven Lentikelextraktion (ReLex) handele es sich um ein Verfahren der refraktiven Linsen- und Hornhautchirurgie, welche nicht als abrechnungsfähige ärztliche Leistungen im Einheitlichen Bewertungsmaßstab für ärztliche Leistungen (EBM-Ä) enthalten seien und daher neue Behandlungsmethoden darstellten. Eine positive Empfehlung des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) zu diesen Methoden liege nicht vor. Als Verfahren der refraktären Augenchirurgie seien sie nach Ziffer 13 der Anlage II der Richtlinie Methoden vertragsärztliche Versorgung des GBA von der vertragsärztlichen Versorgung ausgeschlossen. Die refraktive Chirurgie sei vielmehr von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung in den Katalog der individuell zu finanzierenden Gesundheitsleistungen (IGEL) aufgenommen worden. Auch liege kein Ausnahmefall vor, in dem eine Behandlungsmethode ausnahmsweise ohne positive Empfehlung des GBA zur Versorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung zuzulassen sei. Eine solche Ausnahme regele § 2 Abs. 1a Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V), wonach Versicherte mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung oder mit einer zumindest wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung, für die eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung stehe, auch eine von § 2 Abs. 1 S. 3 SGB V abweichende Leistung (und damit eine Leistung, deren Qualität und Wirksamkeit entsprechend dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse noch nicht feststeht) beanspruchen könnten, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf bestehe. Die verfassungskonforme Auslegung setze u. a. voraus, dass eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende oder eine zumindest wertungsmäßig damit vergleichbare Erkrankung vorliege. Daran fehle es. Zwar leide die Klägerin zweifellos an einer nachhaltigen, die Lebensqualität auf Dauer beeinträchtigenden Krankheit, diese Erkrankung sei aber nicht lebensbedrohlich oder gar regelmäßig tödlich verlaufend. Vielmehr sei ihre Sehfähigkeit erheblich beeinträchtigt. Eine hochgradige Sehstörung könne auch von ihrer Schwere und dem Ausmaß der aus ihr folgenden Beeinträchtigungen her solchen Krankheiten in der Bewertung nicht gleichgestellt werden (vgl. BSG, Urteil vom 05.05.2009 – B 1 KR 15/08 R -, SozR 4-2500 § 27 Nr. 16).

  1. Versicherte der Gesetzlichen Krankenversicherung haben Anspruch auf kieferorthopädische Behandlung nur in medizinisch begründeten Indikationsgruppen, bei denen eine Kiefer- oder Zahnfehlstellung vorliegt, die das Kauen, Beißen, Sprechen oder Atmen erheblich beeinträchtigt oder zu beeinträchtigen droht (Gerichtsbescheid vom 06.06.2019, S 23 KR 6776/18). 

Der 1993 geborene Kläger lies in der Zeit von März 2004 bis März 2013 eine kieferorthopädische Behandlung in Höhe von insgesamt 7.523,62 € durchführen. Nachdem er bzw. seine gesetzlichen Vertreter die Rechnungen zunächst immer selbst beglichen hatten, beantragte der Kläger bei der beklagten Krankenversicherung am 20.03.2014 erstmals die Erstattung dieser Kosten. Nachdem die Beklagte mit Bescheid vom 02.04.2014 eine Kostenübernahme abgelehnt hatte, beantragte der Kläger am 24.03.2015 erneut die Kostenübernahme bzw. eine Überprüfung des Bescheides vom 02.04.2014 nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X).

Die gegen die Ablehnung der Rücknahme des Bescheides vom 02.04.2014 erhobene Klage hat das Sozialgericht Stuttgart nach Vernehmung des behandelnden Kieferorthopäden als sachverständigen Zeugen abgewiesen. Unabhängig davon, dass der Kläger schon den auf dem Sachleistungsprinzip der gesetzlichen Krankenversicherung beruhenden Beschaffungsweg (wonach Kosten für eine selbstbeschaffte Leistung grundsätzlich nur dann übernommen werden könnten, wenn diese Leistung vor der Behandlung bei der zuständigen Krankenkasse beantragt worden seien) nicht eingehalten habe, bestehe auch ansonsten kein Anspruch auf die durchgeführte kieferorthopädische Behandlung. Versicherte hätten Anspruch auf kieferorthopädische Versorgung in medizinisch begründeten Indikationsgruppen, bei denen eine Kiefer- oder Zahnfehlstellung vorliege, die das Kauen, Beißen, Sprechen oder Atmen erheblich beeinträchtige oder zu beeinträchtigen drohe (§ 29 Abs. 1 SGB V). Der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) bestimme in den Richtlinien nach § 92 Abs. 1 SGB V befundbezogen die objektiv überprüfbaren Indikationsgruppen, bei denen diese Voraussetzungen vorliegen (§°29 Abs. 4 SGB V). Zur vertragszahnärztlichen Versorgung gehöre nach den “Richtlinien des Bundesausschusses der Zahnärzte und Krankenkassen für die kieferorthopädische Behandlung” (KFO-Richtlinie) die gesamte kieferorthopädische Behandlung, wenn bei ihrem Beginn ein Behandlungsbedarf anhand der befundbezogenen kieferorthopädischen Indikationsgruppen (KIG) – Anlage 1 zu den Richtlinien – festgestellt werde. Eine Einstufung mindestens in den Behandlungsbedarfsgrad 3 der Indikationsgruppen sei dafür erforderlich. Nachdem bei dem Kläger zu Beginn der Behandlung lediglich eine Zahnstellungsanomalie der KIG 2 bestanden habe, seien die Anspruchsvoraussetzungen i.S.d. § 29 Abs. 1 i.V.m. Abs. 4 SGB V nicht erfüllt. Insoweit sei auch zu berücksichtigen, dass nicht alles, was medizinisch notwendig sei, der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung unterfalle. Die Aufzählung in § 29°Abs. 4 SGB V i.V.m. der KFO-Richtlinien sei abschließend. Eine erweiternde Auslegung entspreche nicht der Zielsetzung des Gesetzgebers (vgl. BSG, Urteil vom 09.12.1997 – 1 RK 11/97 -, SozR 3-2500 § 28 Nr 3).

  1. Nach dem derzeit geltenden Recht hat die Klägerin keinen Anspruch auf Versorgung mit einer stationär durchgeführten Liposuktion der Beine als Naturalleistung, weil diese Behandlungsmethode nicht den Anforderungen des Qualitätsgebots (§ 2 Abs. 1 S. 3 SGB V) entspricht. Etwas anderes ergibt sich derzeit auch nicht aufgrund der am 10. April 2018 in Kraft getretenen Erprobungs-Richtlinie Liposuktion (Gerichtsbescheid vom 23. Mai 2019, S 8 KR 6594/18, Berufung anhängig: L 4 KR 2086/19). 

Das Sozialgericht Stuttgart wies zunächst die erste Klage der Klägerin auf Versorgung mit einer ambulanten Liposuktion ab. Die hiergegen eingelegte Berufung nahm die Klägerin nach einem Hinweis des Berichterstatters zurück. Zugleich stellte die Klägerin bei ihrer beklagten Krankenkasse einen Antrag auf Gewährung einer stationären Liposuktion beider Beine entsprechend der Entscheidung des BSG vom 24. April 2018 – B 1 KR 13/16 R, welcher von der Beklagten mit der Begründung abgelehnt wurde, dass Versicherte der gesetzlichen Krankenversicherung keinen Anspruch auf Regelversorgung mit einer Liposuktion hätten, da diese Behandlungsmethode nicht den Anforderungen des Qualitätsgebotes entspreche und sich derzeit auch kein Anspruch auf die begehrte Liposuktion aus einem Anspruch auf Teilnahme an dem Erprobungsverfahren nach der am 10. April 2018 in Kraft getretenen Richtlinie des GBA zur Erprobung der Liposuktion zur Behandlung des Lipödems ergebe.

Die Kammer hat die Klage abgewiesen. Nach dem derzeit geltenden Recht habe die Klägerin keinen Anspruch auf Versorgung mit einer stationär durchgeführten Liposuktion der Beine als Naturalleistung, weil diese Behandlungsmethode nicht den Anforderungen des Qualitätsgebots (§ 2 Abs. 1 S. 3 SGB V) entspreche. Auch die Voraussetzungen grundrechtsorientierter Leistungsauslegung im Sinne von § 2 Abs. 1a SGB V seien im Fall von Lipödemen nicht erfüllt, da diese weder eine lebensbedrohliche noch regelmäßig tödliche noch eine hiermit wertungsmäßig vergleichbare Erkrankung darstellten. Die Klägerin habe derzeit auch keinen Anspruch auf Teilnahme an dem Erprobungsverfahren nach der am 10. April 2018 in Kraft getretenen Erprobungs-Richtlinie Liposuktion. Zum einen könne derzeit nicht festgestellt werden, ob die Klägerin die Ein- und Ausschlusskriterien der Erprobungsstudie erfüllen würde, da diese noch nicht abschließend von der unabhängigen wissenschaftlichen Institution festgelegt worden seien (Beschluss des GBA vom 18. Januar 2018 über eine Richtlinie zur Erprobung der Liposuktion beim Lipödem – dort § 3 Abs. 2 und 3). Im Übrigen handele es sich bei dem Verfahren zur Aufnahme in die Erprobungsstudie aus Sicht der Kammer um ein anderes Verfahren als jenes, das wie hier auf die Kostenzusage einer gesetzlichen Krankenkasse für eine Liposuktions-OP gerichtet sei, da sich die Teilnehmerinnen der Studie umfassenden Mitwirkungspflichten unterwerfen müssten, vgl. §§ 4-6 des vorgenannten GBA-Beschlusses vom 18. Januar 2018. 

  1. Die erblindete Klägerin hat gegenüber ihrer Krankenversicherung einen Anspruch auf Übernahme der Kosten für ein sog. Daisy-Player (Urteil vom 21.05.2019, S 15 KR 4347/18, rechtskräftig.).

Die Abkürzung Daisy steht für Digital Accessible Information System und bezeichnet einen Standard für navigierbare Multimediadokumente. Mit dem Daisy-Player werden der blinden Klägerin Inhalte und Informationen jeglicher Art zur Verfügung gestellt (Kochbücher, Zeitschriften, Sachbücher, Belletristik, Informationen der Verbände, Lehrbücher etc.), die den Informationsbedarf der Klägerin im Rahmen ihrer Lebensführung befriedigen. Dabei handelt es sich um ein Hilfsmittel i. S. v. § 33 SGB V zum mittelbaren Behinderungsausgleich. Dieses ist nur dann zu gewähren, wenn es die Auswirkungen der Behinderung im gesamten täglichen Leben beseitigt oder mildert und damit ein allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens betrifft. Der Einsatz des Daisy-Players ist nach Auffassung der Kammer der täglichen Lebensbetätigung im Rahmen der allgemeinen Grundbedürfnisse eines Menschen zuzuordnen. Die Schaffung eines auch geistigen Freiraums, der vom BSG als Grundbedürfnis im Rahmen des § 33 SGB V eingeordnet wurde, umfasse schließlich auch die Fähigkeit, sich selbstständig und möglichst ohne fremde Hilfe im eigenen Umfeld zu orientieren, zurecht zu finden und zu bewegen. Insbesondere könne die Klägerin hier nicht darauf verwiesen werden, sich die Texte von einer anderen Person vorlesen zu lassen oder sie mit Hilfe eines Vorlesesystems zu erfassen. Zu dem Grundbedürfnis der eigenständigen und individuellen Informationsbeschaffung gehöre auch die freie Entscheidung darüber, welche Informationen zu welchem Zeitpunkt zugänglich gemacht werden sollen. Die bei einem Daisy-Player bestehende Möglichkeit, in den Werken zu navigieren, um genau an die Stelle in einem zumutbaren Zeitrahmen zu gelangen, die den Versicherten tatsächlich interessiere, komme den Möglichkeiten eines Sehgesunden bereits recht nah, da dieser ebenfalls schnell in der Lage sei, nach Erfassung eines Inhaltsverzeichnisses eines Werkes mit wenigen Schritten zu der Textstelle zu gelangen, die für ihn von besonderer Bedeutung sei. Das bereits vorhandene Vorlesegerät der Klägerin enthalte solche Navigationsmöglichkeiten gerade nicht und verpflichte den Nutzer bis auf einige Ausnahmen, sich den gesamten Text vorlesen zu lassen, um schließlich die wichtigen Passagen, die sich möglicherweise am Ende eines mehrstündigen Werkes befänden, zu erfassen. Außerdem würden gewisse Informationen wie z.B. von Blindenverbänden nur noch im Daisy-System zur Verfügung gestellt, so dass die Klägerin von solchen Informationen völlig ausgeschlossen wäre. Damit habe die Klägerin einen Anspruch auf Versorgung mit dem Daisy-Player aus § 33 Abs. 1 Satz 1 Fall 2 SGB V.

  1. Versicherte haben keinen Anspruch auf Erstattung der Kosten einer bei einem nicht zur vertragspsychotherapeutischen Versorgung zugelassenen Behandler durchgeführten Therapie, wenn sie zum Zeitpunkt der erfolglosen Anfragen an Vertragstherapeuten nach aktuell freien Therapieplätzen bereits, ohne sich zunächst an die Krankenkasse gewandt zu haben und vor Bemühungen um einen Therapieplatz bei Vertragstherapeuten, die Therapie begonnen hatten und sich nach den Absagen der Vertragstherapeuten nicht mehr weiter um das Erlangen eines Therapieplatzes bei einem Vertragstherapeuten bemühen (Gerichtsbescheid vom 18.10.2018, S 27 KR 4319/16). 

Die Klägerin hat nach der Entlassung aus einer stationären Psychotherapie eine Psychotherapie bei einem approbierten Psychotherapeuten begonnen, der ihr bekannt altersbedingt nicht über eine Zulassung zur gesetzlichen Krankenversicherung verfügt hat. Nach 11 Monaten hat sie sich an die Krankenversicherung mit der Bitte um Tragung der Kosten gewandt unter Vorlage einer Bescheinigung des Therapeuten, dass er innerhalb einer Woche einen Therapieplatz anbieten könne. Beigelegt hat sie den Ausdruck von 5 Schreiben per Mail an Vertragstherapeuten mit der Frage, ob es in nächster Zeit eine Möglichkeit für einen Therapieplatz gibt. Vier Therapeuten hatten nicht geantwortet und eine Therapeutin hatte angegeben, die Klägerin solle sich in 3 bis 4 Monaten nochmals melden. Zwei von der Krankenkasse daraufhin benannte Therapeuten gaben danach an, in den nächsten 3 Monaten keinen freien Therapieplatz zu haben bzw. eine Wartezeit von einem ½ bis ¾ Jahr zu haben. Die Klägerin hat daraufhin die begonnene Therapie noch weitere 11 Monate, bis zum Tod des Therapeuten, fortgeführt und danach keine weitere begonnen.

Das Gericht hat die Klage abgewiesen. Eine Behandlung eines nicht zur vertragspsychotherapeutischen Versorgung zugelassenen Behandlers müssen die Krankenkasse nicht als Sachleistung gewähren. Eine unaufschiebbare Leistung habe nicht vorgelegen. Es habe auch kein Ursachenzusammenhang zwischen der Ablehnung der Leistung durch die Krankenkasse und der Selbstbeschaffung bestanden. Denn die Klägerin sei von vornherein auf eine Behandlung durch den nicht zur vertragspsychotherapeutischen Versorgung zugelassenen Behandler festgelegt gewesen und habe den Beschaffungsweg nicht eingehalten. Sie habe sich auch zum Zeitpunkt des Antrages an die Krankenkasse und danach nicht in ausreichendem Maße um die Erlangung eines Therapieplatzes bei einem Vertragstherapeuten bemüht. Damit bestehe kein Anspruch auf Erstattung der Kosten der Therapie.

  1. Versicherte haben keinen Anspruch auf Versorgung mit Heilmitteln als langfristige Heilmittelbehandlung, wenn sie nicht unter außergewöhnlich schwerwiegenden Erkrankungen mit massiven Auswirkungen leiden, bei denen durch Therapien keine Veränderungen erzielt werden können und damit nicht feststeht, dass die Heilmittel grundsätzlich in unveränderter Form auf Dauer notwendig sein werden. (Gerichtsbescheid vom 02.08.2018, S 27 KR 4067/17). 

Bei der Klägerin lagen insbesondere eine chronische Cervikobrachialgie links bei mehrsegmentalen Bandscheibenprotrusionen und neuroforminalen Stenosen vor, ein Zustand nach zweifach operiertem Clivuschordom mit cervikaler Stabilisierung durch Beckenkamminterponat und ein Zustand nach Clippung eines Arterie vertebralis-Aneurysmas rechts. Die Klägerin begehrte die Genehmigung einer langfristigen Heilmittelbehandlung mit manueller Therapie und Krankengymnastik.

Das Gericht hat die Klage abgewiesen. Bei den in der Anlage 2 zur Heilmittel-Richtlinie aufgeführten Erkrankungen sei vom Vorliegen eines langfristigen Heilmittelbedarfs auszugehen. Bei mit Schwere und Dauerhaftigkeit mit den Diagnosen aus der Anlage 2 vergleichbaren funktionellen / strukturellen Schädigungen könnten die notwendigen Heilmittel langfristig genehmigt werden. Bei den aufgelisteten Erkrankungen handele es sich um außergewöhnlich schwerwiegende Erkrankungen mit massiven Auswirkungen, oft große bzw. mehrere Bereiche des Körpers betreffend bzw. systemischer Art, oft angeboren und mit progressivem Verlauf. Die bei der Klägerin vorliegenden Beeinträchtigungen seien nach Ausprägung, Schwere und Dauerhaftigkeit nicht vergleichbar. Es bestünden Therapieoptionen, und die Notwendigkeit der Hilfsmittel in unveränderter Form auf Dauer sei somit nicht begründet. Auch wenn die Beeinträchtigungen regelmäßig die Verordnung von Heilmitteln, auch außerhalb des Regelbedarfs, erforderten, bestehe damit kein Anspruch auf Genehmigung einer Langfristverordnung.

V. Schwerbehindertenrecht 

  1. Eine stärker behindernde Störung mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit kann auch bei aktuell fehlender psychiatrischer/psychologischer Behandlung bestehen, wenn die Unterlassung oder der Abbruch der Behandlung krankheitsbedingt erfolgt (Gerichtsbescheid vom 04.01.2019, S 6 SB 2994/17). 

Der Kläger begehrte im vorliegenden Verfahren die Verurteilung des beklagten Landes, bei ihm einen Grad der Behinderung von wenigstens 50 festzustellen. Neben Funktionsbeeinträchtigungen an der Wirbelsäule war vor allem die Bewertung einer depressiven Störung zwischen den Beteiligten umstritten.

Zwar sei dem Beklagten rechtlich zuzustimmen, dass das LSG Baden-Württemberg in seiner Rechtsprechung ausführe, dass bei fehlender Behandlung einer psychischen Erkrankung nicht davon ausgegangen werden könne, dass diese einen höheren GdB als 20 rechtfertige (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 17.12.2010, L 8 SB 1549/10). Allerdings sei immer darauf zu achten, ob die Erkrankung behandlungsbedürftig sei und ob das Unterlassen der Behandlung krankheitsbedingt erfolge. Hiervon ist die Kammer im vorliegenden Fall aufgrund der sich insoweit ergänzenden und deshalb umfassend schlüssig und nachvollziehbaren Angaben der bis April 2017 behandelnden Ärztin und des Gutachters zur Persönlichkeitsstruktur und zur Erkrankung des Klägers überzeugt gewesen. Die psychische Erkrankung sei durch die fehlende Therapie und das Weglassen der Medikation derart verschlechtert, dass der gerichtlich bestellte Sachverständige einen sofortigen stationären Aufenthalt in einer psychiatrischen Fachklinik für erforderlich gehalten habe. Ein Rückschluss, dass das Fehlen der therapeutischen Bemühungen Ausdruck eines fehlenden Leidensdrucks seien, könne bei einer gutachterlich festgestellten Dissimulation, Selbstanklage und Scham für das Bedürfnis ärztlicher Hilfe nicht gezogen werden. Vielmehr sei in diesem Fall ein Teil-GdB für die psychische Erkrankung von 40 gerechtfertigt gewesen.

VI. Gesetzliche Unfallversicherung 

  1. Der Kläger, ein Rettungssanitäter, hat keinen Anspruch auf Anerkennung und Feststellung der bei ihm diagnostizierten posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) als Berufskrankheit (BK) nach § 9 Abs. 2 des 7. Sozialgesetzbuchs (SGB VII) (Urteil vom 8.11.2018, S 1 U 1682/17, noch nicht rechtskräftig). 

Der Kläger beantragte bei Der beklagten Berufsgenossenschaft, die von seinen behandelnden Ärzten diagnostizierte PTBS als BK infolge seiner Tätigkeit als Rettungssanitäter u.a.  mit Einsätzen beim Amoklauf von Winnenden und zwei Suiziden festzustellen.

In einem ärztlichen Entlassungsbericht führte Dr. G unter anderem aus, der Kläger sei im Rettungsdienst tätig und habe als solcher viele traumatisierende Erlebnisse gehabt. So sei er bei Amokläufen eingesetzt worden, bei denen er emotional bereits an seine Grenzen gekommen sei. Nur gelegentlich sei es zu Nachhallerinnerungen gekommen, die über die Jahre bereits sukzessive angestiegene Anspannung habe sich verstärkt. Als weiteres traumatisches Erlebnis erinnert der Kläger, den Suizid einer Jugendlichen, der ihn tief erschüttert habe, woraufhin er sich jedoch wieder weitgehend stabilisiert habe. Als er jedoch auf den Tag genau ein Jahr später zum Suizid der Freundin der Jugendlichen gerufen worden sei, sei es schließlich zur Dekompensation gekommen. Der Kläger könne seitdem nicht mehr richtig reagieren, es komme verstärkt zu Eskalationen, die er nur durch Rückzug vermeiden könne. Aufrechterhalten werde die Symptomatik durch ein zunehmendes Sinnlosigkeitserleben und die mangelnde Unterstützung seitens der Strukturen und Vorgesetzten. Dr. G diagnostizierte im Gegensatz zu den Vorbehandlern keine depressive Episode, sondern eine PTBS. Deren Kriterien seien durch eine Kumulation außergewöhnlicher Belastungen, anhaltende Nachhallerinnerungen, Alpträume und eine ausgesprochen hohe innere Bedrängnis in ähnlichen Situationen, Vermeidungsverhalten in Bezug auf ähnliche Situationen, erhöhte psychische Erregung mit Ein- und Durchschlafstörungen, erhöhter Reizbarkeit, Konzentrationsschwierigkeiten und erhöhter Schreckhaftigkeit erfüllt. Zur weiteren Therapie werde dringend die zeitnahe Aufnahme einer kontinuierlichen ambulanten Psychotherapie, traumaadaptiert, empfohlen.

Das Gericht hat seine die Klage abweisende Entscheidung wie folgt begründet: 

Nach den maßgebenden Vorschriften des SGB VII sind Berufskrankheiten Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach § 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit erleiden. Die Bundesregierung wird ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten als Berufskrankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkung verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind; sie kann dabei bestimmen, dass die Krankheiten nur dann Berufskrankheiten sind, wenn sie durch Tätigkeiten in bestimmten Gefährdungsbereichen verursacht worden sind oder wenn sie zur Unterlassung aller Tätigkeiten geführt haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheiten ursächlich waren oder sein können (§ 9 Abs. 1 SGB VII).

Nach § 9 Abs. 2 SGB VII haben die Unfallversicherungsträger eine Krankheit, die nicht in der Rechtsverordnung bezeichnet ist oder bei der die dort bestimmten Voraussetzungen nicht vorliegen, wie eine Berufskrankheit als Versicherungsfall anzuerkennen, sofern im Zeitpunkt der Entscheidung nach neuen Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft die Voraussetzungen für eine Bezeichnung nach Abs. 1 Satz 2 erfüllt sind.

Die PTBS gehört nicht zu den Listenerkrankungen im Sinne des § 9 Abs. 1 SGB VII. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) genügt es für die Feststellung einer Wie-BK nicht, dass im Einzelfall berufsbedingte Einwirkungen die rechtlich wesentliche Ursache einer nicht in der BK-Liste bezeichneten Krankheit sind, denn die Regelung des § 9 Abs. 2 SGB VII beinhaltet keinen Auffangtatbestand und keine allgemeine Härteklausel (BSG Urteil vom 20.07.2010, B 2 U 19/09 R m. w. N., Fundstelle Juris). Die Anerkennung einer Wie-BK darf danach nur erfolgen, wenn die Voraussetzungen für die Aufnahme der betreffenden Einwirkungs-Krankheits-Kombination in die Liste der Berufskrankheiten erfüllt sind, der Verordnungsgeber sie also als neue Listen-BK in die Berufskrankheitenverordnung (BKV) einfügen dürfte, aber noch nicht tätig geworden ist (BSG, a. a. O.).

Nach § 9 Abs. 2 SGB VII müssen für die Feststellung der Wie-BK folgende Voraussetzungen erfüllt sein:

(1)       Ein Versicherter muss die Feststellung einer bestimmten Krankheit als Wie-BK beanspruchen.

(2)       Die Voraussetzung einer in der Anlage 1 zur BKV bezeichneten Krankheit dürfen nicht erfüllt sein.

(3)       Die Voraussetzungen für die Bezeichnung der geltend gemachten Krankheit als Listen-BK durch den Verordnungsgeber müssen vorliegen. Es muss eine bestimmte Personengruppe durch die versicherte Tätigkeit besonderen Einwirkungen in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt (gewesen) sein und es müssen medizinisch-wissenschaftliche Erkenntnisse über das Bestehen einer Einwirkung- und Verursachungsbeziehung vorliegen.

(4)       Diese medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse müssen neu sein.

(5)       Abschließend müssen im Einzelfall die abstrakten Voraussetzungen der Wie-BK konkret erfüllt sein.

Das Gericht hat die Voraussetzung (3) verneint und dazu ausgeführt: Nach der Rechtsprechung des BSG (a. a. O.) sei dabei zuerst die Art der Einwirkung zu ermitteln, die im Blick auf die vom Versicherten geltend gemachte Krankheit abstrakt-generell als Ursache in Betracht kommen kann. Danach sei zu klären, ob diese abstrakt–generell einer bestimmten Art einer vom Versicherten verrichteten Versichertentätigkeit zuzurechnen ist. Erst aus dieser Verbindung von krankheitsbezogenen Einwirkungen und versicherten Tätigkeiten ergebe sich, so das BSG, die abstrakt-generelle Personengruppe, die sich von der Allgemeinbevölkerung unterscheidet. Als Einwirkung komme praktisch alles in Betracht, was auf Menschen einwirkt. Daher sei es, auch wenn es (noch) keine Listen-BK gibt, möglich, auf rein psychische Einwirkungen abzustellen. Es sei nicht ausgeschlossen, dass der Verordnungsgeber eine entsprechende Listen-BK einführen kann. An die bestimmte Personengruppe seien keine besonderen Anforderungen hinsichtlich ihrer Größe oder sonstiger charakterisierender Merkmale zu stellen (BSG a. a. O., m. w. N.).

Weitere Voraussetzung sei, dass die Einwirkungen, denen die Personengruppe durch die versicherte Tätigkeit ausgesetzt ist, abstrakt-generell nach dem Stand der Wissenschaft die wesentliche Ursache einer Erkrankung der geltend gemachten Art sein müssen. Denn für die Beurteilung des generellen Ursachenzusammenhangs gelte auch hier die Theorie der wesentlichen Bedingung. Vor der rechtlichen Beurteilung der Wesentlichkeit einer Ursachenart selbst, müsse auch hier die naturwissenschaftliche/naturphilosophische Kausalitätsprüfung erfolgen. Bei dieser sei zu klären, ob nach wissenschaftlichen Methoden und Überlegungen belegt ist, dass bestimmte Einwirkungen generell bestimmte Krankheiten der vom Versicherten geltend gemachten Art verursachen. Nach dem Urteil des BSG vom 20.10.2010 (a. a. O.) sei das anzunehmen, wenn die Mehrheit der medizinischen Sachverständigen, die auf den jeweils in Betracht kommenden Gebieten über besondere Erfahrungen und Kenntnisse verfügen, zu derselben wissenschaftlich fundierten Meinung gelange. Dies werde für das Vorliegen solcher Erkenntnisse für die PTBS, so das BSG, mit Hinweis auf Aufsätze von Becker und Knickrehm bezweifelt (BSG a.a.O. mit Nachweisen).

Nach den Ermittlungen der Kammer seien derart neue medizinische Erkenntnisse hinsichtlich der Verursachung der PTBS durch psychisch belastende Tätigkeiten bei Rettungssanitätern, Polizisten, Feuerwehrleuten und Entwicklungshelfern in Krisengebieten, nicht gegeben. So weise Spellbrink in seinem Aufsatz zu psychischen Erkrankungen im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung (Sozialgerichtsbarkeit 2013, S.154-162) unter anderem darauf hin, dass die Anerkennung psychischer Gesundheitsschäden als Wie-BK derzeit mangels Nachweises der generellen gesetzlichen Anforderungen (belastbare wissenschaftliche Erkenntnisse über generelle gruppenspezifische psychische Erkrankungsursachen bei bestimmten spezifischen beruflichen Belastungen) faktisch nicht möglich sei.

Darüber hinaus habe das BSG in seiner Entscheidung vom 20.07.2010 darauf hingewiesen, dass bei der Beobachtung von Einwirkungen auf Dritte, wenn der Versicherte nicht selbst von Einwirkungen betroffen gewesen ist, als Anknüpfungspunkt für die Bejahung des Ursachenzusammenhangs ein enger personaler Bezug zu verlangen sei. Ein solcher sei hier nicht ersichtlich und/oder vom Kläger dargelegt worden.

  1. Ein bei einer SegwayTour im Anschluss an eine kaufmännische Traineeveranstaltung des Arbeitgebers erlittener Sturz eines Beschäftigten, bei dem dieser sich   Frakturen am rechten Wadenbein und Sprunggelenk zugezogen hat, stellt keinen Arbeitsunfall dar, denn dieses Ereignis steht nicht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung (Urteil vom 10.01.2019, S 1 U 3297/17, rechtskräftig). 

Der Kläger erlitt im Jahr 2016 gegen 17.23 Uhr einen Unfall, als er bei einer SegwayTour im Anschluss an eine offizielle kaufmännische Trainee-Veranstaltung seiner Arbeitgeberin, die um 15.00 Uhr endete, stürzte und sich zwei Frakturen zuzog. Das kaufmännische Trainee-Treffen begann nach Angaben der Arbeitgeberin, am Unfalltag um 10.00 Uhr und endete am gleichen Tag um 15.00 Uhr. An der Veranstaltung haben nach Auskunft der Arbeitgeberin insgesamt 8 Personen bei einer Gesamtbelegschaft von 111 Personen, alles Betriebsangehörige, teilgenommen. Von der Unternehmensleitung war ein Mitglied bis 19.00 Uhr anwesend.

Das Gericht hat die Klage auf Feststellung des Unfalls als Arbeitsunfall abgelehnt und dies u.a.  wie folgt begründet:

Nach § 8 Abs. 1 Satz 1 Siebtes Sozialgesetzbuch (SGB VII) sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Unfälle sind nach § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen. Ein Arbeitsunfall setzt daher voraus, dass der Verletzte durch eine Verrichtung vor dem fraglichen Unfallereignis den gesetzlichen Tatbestand einer versicherten Tätigkeit erfüllt hat und deshalb „Versicherter“ ist. Diese Verrichtung muss zu dem zeitlich begrenzten, von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis geführt und dadurch einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten objektiv und rechtlich wesentlich verursacht haben (BSG, Urteil vom 26.06.2014, B 2 U 4/13 R, zitiert nach Juris).

Diese Voraussetzungen hat das Gericht verneint. Der Kläger habe zum Zeitpunkt des Sturzes und der Brüche des Wadenbeins und Sprunggelenks bereits keinen Tatbestand einer versicherten Tätigkeit erfüllt. Er sei zwar Beschäftigter im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII, habe jedoch bei der Teilnahme an der SegwayTour keine versicherte Tätigkeit verrichtet.

Eine versicherte Tätigkeit als Beschäftigter werde dann verrichtet, wenn der Verletzte zur Erfüllung eines von ihm begründeten Rechtsverhältnisses als Beschäftigter, insbesondere eines Arbeitsverhältnisses, einer Tätigkeit in Eingliederung in das Unternehmen eines anderen zu dem Zweck nachgeht, dass die Ergebnisse seiner Verrichtung diesem und nicht ihm selbst unmittelbar zum Vorteil gereichen (BSG, a. a. O.). Ein derartiger betriebsbezogener Zweck sei nach der Rechtsprechung des BSG nicht auf die Erbringung der Hauptleistung beschränkt, die Gegenstand des Beschäftigungsverhältnisses ist. Vielmehr könne er auch für eine Anzahl sonstiger Tätigkeiten angenommen werden, die dem Unternehmensinteresse dienen. Hierzu können z. B. Fortbildungsmaßnahmen mit dem Ziel gehören, eine Verbesserung der beruflichen Leistungsfähigkeit im erlernten und ausgeübten Beruf zu erreichen. Eine dem Versicherungsschutz unterliegende Tätigkeit könne auch in der Teilnahme an einer betrieblichen Gemeinschaftsveranstaltung liegen, mit der das Unternehmensinteresse unterstützt wird, die betriebliche Verbundenheit zu fördern (BSG, a. a. O.). So könne die Traineeveranstaltung, die am Unfalltag um 10.00 Uhr begonnen und am gleichen Tag um 15.00 Uhr geendet habe, als eine Fortbildungsveranstaltung im Unternehmensinteresse angesehen werden, weshalb insoweit für den Kläger und die anderen Trainees bei dieser Veranstaltung Versicherungsschutz bestanden habe.

Dies gelte jedoch nicht für die SegwayTour, die im offiziellen Programm als Tagesordnungspunkt „geführte Stadtrundfahrt auf dem Segway“ von 16.00 Uhr – 18.00 Uhr angekündigt worden sei. So bestehe für eine Aktivität, die im Rahmen einer Tagung einem abgrenzbaren Freizeitprogramm zuzuordnen sei, kein Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung als Beschäftigter. Bei Tagungen stehen Programmpunkte, die erkennbar und abgrenzbar vom übrigen Programm der Unterhaltung, Entspannung und Geselligkeit sowie der Auflockerung der Veranstaltung dienen, nicht unter Versicherungsschutz. Dies gelte nach der Rechtsprechung des Bayerischen Landessozialgerichts, auf das sich die Beklagte in ihrer Entscheidung stütze (Urteil vom 24.05.2016, L 3 U 175/13, Fundstelle Juris) selbst dann, wenn sie vom Arbeitgeber organisiert und finanziert worden seien und der Arbeitgeber die Teilnahme seiner Mitarbeiter erwarte. Stehen Freizeit, Unterhaltung oder Erholung im Vordergrund, fehle es an einem wesentlichen betrieblichen Zusammenhang. Es stehe einem Arbeitgeber zwar frei, seinen Mitarbeitern entsprechende Veranstaltungen anzubieten. Er habe es dadurch jedoch nicht in der Hand, den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung auf sonst unversicherte Tatbestände auszuweiten, und zwar auch dann nicht, wenn hierdurch die persönliche Verbundenheit einer Gruppe von Beschäftigten mit dem Unternehmen gestärkt werden würde (Bayerisches Landessozialgericht, a. a. O.). So mache allein die Tatsache, dass jede gemeinsame Freizeitbeschäftigung mit Kollegen und/oder Vorgesetzten mittelbar auch dem Betriebsklima zugutekomme, aus der privaten Beschäftigung keine betriebsdienliche (Bayerisches Landessozialgericht, a. a. O.).

Nach eigener Prüfung schließe sich die erkennende Kammer dieser Rechtsauffassung an. Auch das Hessische Landessozialgericht habe in seinem Urteil vom 20.07.2015 (L 9 U 69/14, Fundstelle Juris) entschieden, dass für eine Aktivität, die im Rahmen einer Führungskräftetagung einem abgrenzbaren, freiwilligen Freizeitprogrammteil zuzuordnen sei, kein Versicherungsschutz bestehe. Darüber hinaus habe das Hessische LSG entschieden, dass Voraussetzung für die Annahme einer betrieblichen Gemeinschaftsveranstaltung sei, dass eine bestimmte Mindestbeteiligung gegeben und der Teilnehmerkreis nicht auf bestimmte Betriebsangehörige des Unternehmens beschränkt sei. Vielmehr sei erforderlich, um als der Gemeinschaft dienend beurteilt zu werden, dass die Veranstaltung allen Beschäftigten offenstehe. Richte sich das Teilnahmeangebot des Unternehmens ausschließlich an eine bestimmte Gruppe von Betriebsangehörigen, so bestehe kein Unfallversicherungsschutz während der Veranstaltung (Hessisches Landessozialgericht, a. a. O.).

In diesem Zusammenhang habe das Landessozialgericht Baden-Württemberg mit Urteil vom 13.12.2011 (L 9 U 4092/10, Fundstelle Juris) entschieden, dass eine objektive Teilnahmemöglichkeit der gesamten Belegschaft an einer betrieblichen Gemeinschaftsveranstaltung dann nicht gegeben sei, wenn die Veranstaltung mit Gefahren verbunden sei, die erwarten lassen, dass ein nicht unwesentlicher Teil der Belegschaft von einer Teilnahme Abstand nehmen werde. Gleiches gelte nach Auffassung des Gerichts auch dann, wenn ein Teil der Belegschaft aus anderen Gründen an der angebotenen Teilnahme rein faktisch gehindert sei.

Die erkennende Kammer folgt dieser Rechtsprechung und kommt, wie die Beklagte, aufgrund der Angaben der Arbeitgeberin des Klägers und des Klägers selbst zum Ergebnis, dass die SegwayTour nicht als Teil des versicherten Tagungsprogramms und nicht als betriebliche Gemeinschaftsveranstaltung unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung gestanden habe. Sie hat abschließend darauf hingewiesen, dass das offizielle Traineetagungsprogramm um 15.00 Uhr geendet habe und die SegwayTour auch nicht allen Betriebsangehörigen, sondern lediglich den kaufmännischen Trainees, offengestanden habe.

  1. Die Erstattung von Kosten für eine Haushaltshilfe und Leistungen der Kinderbetreuung kommt nach einem anerkannten Arbeitsunfall nach dem Siebten Buch Sozialgesetzbuch in Betracht, wenn den Versicherten wegen einer aufgrund des Unfalls notwendig geworden Leistung zur medizinischen Rehabilitation (oder einer Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben z.B. Umschulung oder am Leben in der Gemeinschaft) die Weiterführung des Haushalts nicht möglich ist, eine andere im Haushalt lebende Person den Haushalt nicht weiterführen kann und im Haushalt ein Kind lebt, das bei Beginn der Haushaltshilfe das zwölfte Lebensjahr noch nicht vollendet hat oder das behindert und auf Hilfe angewiesen ist. Weiterhin kann Haushaltshilfe gewährt werden, wenn diese Leistung zur Sicherstellung des Erfolges der Leistungen zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe notwendig ist (Urteil vom 02.04.2019, S 13 U 4301/15).

Zwischen den Beteiligten war streitig, in welchem Umfang der Unfallversicherungsträger nach einem Arbeitsunfall Kosten für eine Haushaltshilfe und Kinderbetreuung zu erstatten hat. Die Klägerin erlitt bei einem Wegeunfall mehrere Frakturen. Der beklagte Unfallversicherungsträger gewährte ab dem Zeitpunkt keine Haushilfe/Kinderbetreuung mehr, ab dem die Versicherte wieder ohne Hilfsmittel gehen und stehen konnte. Die Klage war teilweise erfolgreich.

  1. Wer als Fahrzeuglenker auf dem Weg zwischen Arbeitsort und Wohnung infolge eines Niesanfalls die Kontrolle über sein Fahrzeug verliert, steht nicht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung (Gerichtsbescheid vom 30. Juli 2018, S 12 U 327/18). 

Der Kläger, ein selbständiger Landschaftsgärtner, war mit seinem LKW auf dem Weg von seinem Gartenlager zu seiner Wohnung unterwegs. Dabei erlitt er einen Niesanfall und griff nach seinem Taschentuch, das sich auf dem Armaturenbrett neben dem Radio befand. Er verlor die Kontrolle über sein Fahrzeug und zog sich eine Rippenfraktur zu.

Das Sozialgericht entschied, dass hier kein Arbeitsunfall vorlag. Der Kläger habe zwar während des Unfalls grundsätzlich unter Versicherungsschutz gestanden, weil er sich auf einem mit seiner versicherten Tätigkeit nach § 2 Abs. 1 Nr. 5 SGB VII zusammenhängenden unmittelbaren Weg nach und von dem Ort dieser Tätigkeit befunden habe. Ein Arbeitsunfall liege aber nur dann vor, wenn das konkrete Handeln des Versicherten zur Fortbewegung auf dem Weg zur oder von der versicherten Tätigkeit gehöre. Das habe die Kammer hier nicht feststellen können. Weder ein Niesanfall noch ein Griff nach Taschentüchern stelle einen auf das Zurücklegen des Weges gerichtete Verrichtung dar. Dass der Niesanfall Folge der vor Fahrtantritt verrichteten Tätigkeit im Gartenlager gewesen sei, habe mangels medizinischer Befunde nicht festgestellt werden können.

VII. Verfahrensrecht 

  1. Eine zulässige Klage erfordert im Regelfall, dass dem angerufenen Gericht eine ladungsfähige Anschrift des Rechtsuchenden genannt wird. Die Angabe der ladungsfähigen Anschrift muss jedenfalls zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung vorliegen (Gerichtsbescheid vom 07.05.2019, S 18 AS 2628/18). 

Die Kläger begehrten die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Bei Klageerhebung gaben sie eine ladungsfähige Anschrift an. Im Laufe des gerichtlichen Verfahrens sind die Kläger unbekannt ins Ausland verzogen. Weder über die Beklagte noch über das Einwohnermeldeamt konnte das Gericht eine aktuelle Anschrift der Kläger ermitteln.

Das Gericht wies die Klage in der Folge als unzulässig ab. Die Angabe der ladungsfähigen Anschrift müsse grundsätzlich jedenfalls zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung vorliegen. Die Angabe einer zustellungsfähigen Anschrift diene einerseits der zweifelsfreien Identifizierung des Klägers, andererseits dazu, rechtswirksame Zustellungen gerichtlicher Anordnungen und Entscheidungen bewirken zu können. Schließlich sprächen Gründe des Kostenrechts für das Erfordernis, dem Gericht eine Anschrift zu nennen. Das sozialgerichtliche Verfahren sei zwar für eine natürliche Person grundsätzlich kostenfrei und in der Regel auch nicht mit der Pflicht zur Erstattung außergerichtlicher Kosten des Prozessgegners verbunden. Als Ausnahme vom Grundsatz der Kostenfreiheit könnten jedoch nach § 192 SGG einem uneinsichtigen Rechtsuchenden die durch das Betreiben eines aussichtslosen Rechtsstreits entstandenen Kosten ganz oder teilweise auferlegt werden. Dieses Mittel liefe leer, wenn die Vollstreckung der auf dieser Grundlage festgesetzten Kosten gefährdet wäre, nur weil der Rechtsuchende sich durch bloßes Verschweigen seiner Anschrift der Durchsetzung einer ihn treffenden Kostenlast entziehen könnte.

  1. Rentenberater dürfen Menschen, die einen höheren Grad der Behinderung begehren, in dieser Angelegenheit nur vor dem Sozialgericht vertreten, wenn die Feststellung des Grades der Behinderung einen konkreten Bezug zu einer gesetzlichen Rente aufweist. Dies ist höchstens drei Jahre vor dem frühestmöglichen Beginn einer Altersrente für schwerbehinderte Menschen der Fall (Urteil vom10.4.2019, S 22 SB 6940/17, Berufung anhängig).

Der Kläger ist seit 1990 Rentenberater. Im Jahr 2005 wurde ihm nach Maßgabe des bis Juni 2008 geltenden Rechtsberatungsgesetzes die Erlaubnis zur Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten als Rentenberater auf dem Gebiet des Schwerbehindertenrechts erteilt. Im April 2019 erhob der Kläger im Namen seines 54 Jahre alten Mandanten Widerspruch gegen die Absenkung des Grades der Behinderung des Mandanten. Das zuständige Versorgungsamt wies den Kläger als Bevollmächtigten zurück. Der Widerspruch des Klägers blieb ohne Erfolg.

Die Kammer hat die Klage als unbegründet abgewiesen. Das Versorgungsamt habe den Kläger zu Recht als Bevollmächtigten zurückgewiesen (§ 13 Abs. 5 Nr. 3 SGB X). Nach Maßgabe des seit Juli 2008 geltenden Rechtsdienstleistungsgesetzes dürften registrierte Rentenberater Rechtsdienstleistungen auf dem Gebiet des Schwerbehindertenrechts nur mit Bezug zu einer gesetzlichen Rente erbringen. Ein solcher Bezug bestehe, wenn zum Zeitpunkt des Tätigwerdens des Rentenberaters in einer Angelegenheit des Schwerbehindertenrechts ein Antrag auf Gewährung von Altersrente für schwerbehinderte Menschen bereits gestellt ist oder bald nach Abschluss des Verfahrens gestellt werden kann. Letzteres sei höchstens drei Jahre vor dem frühestmöglichen Beginn einer Altersrente für schwerbehinderte Menschen der Fall. Die vorzeitige Inanspruchnahme dieser Rente sei frühestens nach Vollendung des 60. Lebensjahres möglich (§ 236a Abs. 1 Satz 2 SGB VI). Schwerbehinderte Beamte im Dienst des Landes Baden-Württemberg erreichten die für den Eintritt in den Ruhestand maßgebliche Altersgrenze frühestens mit Vollendung des 62. Lebensjahres (§ 40 Abs. 1 Satz 1 Landesbeamtengesetz). Von diesen Altersgrenzen sei der bei Erlass der angefochtenen Verwaltungsakte über die Zurückweisung erst 54 Jahre alte Mandant des Klägers noch mehr als drei Jahre entfernt. Die Rechtmäßigkeit der Zurückweisung des Klägers werde auch nicht dadurch in Frage gestellt, dass der Kläger Inhaber einer sogenannten Alterlaubnis gemäß des bis Juni 2008 gültigen Rechtsberatungsgesetzes sei. Auch diese Erlaubnis verlange einen konkreten Bezug der Rechtsdienstleistung zu einer gesetzlichen Rente. Dieser fehle hier.

  1. Bei Klägern, die die Sozialverwaltung und die Sozialgerichtsbarkeit mit einer Vielzahl von Verfahren beschäftigen, liegt ein zureichender Grund dafür vor, dass die Sozialverwaltung die gesetzlichen Fristen für den Erlass eines Verwaltungsakts überschreitet (Urteil vom 15.5.2019, S 22 AS 3913/18, noch nicht rechtskräftig). 

Das beklagte Jobcenter lehnte einen Antrag des Klägers als unbegründet ab. Hiergegen erhob der Kläger am 23.4.2018 Widerspruch, den das Jobcenter mit Widerspruchsbescheid vom 16.10.2018 als unbegründet zurückwies. Bereits am 27.7.2018 hat der Kläger Untätigkeitsklage erhoben. Er begehrt die Entscheidung über seinen Widerspruch.

Die Kammer hat die Untätigkeitsklage als unbegründet abgewiesen und entschieden, dass der Kläger keinen Anspruch auf Erstattung seiner außergerichtlichen Kosten hat. Die Untätigkeitsklage sei von Anfang an unbegründet gewesen. Das Jobcenter habe einen zureichenden sachlichen Grund, über den Widerspruch des Klägers nicht innerhalb von drei Monaten zu entscheiden. Der Kläger habe es selbst zu vertreten, dass der Beklagte die Frist des § 88 Abs. 2 SGG nicht eingehalten habe. Er beschäftige das Jobcenter mit einer Vielzahl von Anträgen, Widersprüchen, Klagen, Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes, Berufungen und Beschwerden. Zum Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheids habe das Jobcenter etwa hundert weitere Widersprüche und etwa 400 anhängige sozialgerichtliche Verfahren des Klägers, seiner drei Kinder und deren Mutter betreut. Allein vor dem Sozialgericht Stuttgart habe bis Mai 2019 der Kläger über 1.150 Verfahren, die Mutter seiner Kinder über tausend Verfahren sowie jedes ihrer drei gemeinsamen Kinder mehr als 370, 360 oder 290 Verfahren anhängig gemacht. Bei Klägern, die die Sozialverwaltung und die Sozialgerichtsbarkeit mit einer Vielzahl von Verfahren beschäftigen, sei das Jobcenter nicht verpflichtet, seine Verwaltungstätigkeit zu Lasten der übrigen Leistungsempfänger in erster Linie nach denjenigen Antragstellern auszurichten, die eine Vielzahl von Verfahren betreiben.

VIII. Vertragsarztrecht 

  1. Einem Facharzt für Urologie kann die Zulassung zur vertragsärztlichen Tätigkeit entzogen werden, wenn die urologische Praxis ohne Beachtung der seit Jahren gültigen Hygiene- und Arbeitsschutzstandards betrieben wird. Eine gröbliche Pflichtverletzung liegt auch dann vor, wenn der Vertragsarzt eine Untersagungsverfügung nicht beachtet und weiterhin vertragsärztliche Leistungen abrechnet (Urteil vom 29.11.2018, S 5 KA 647/16). 

Der Kläger (Facharzt für Urologie) wandte sich gegen die Entziehung seiner Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung. Bei einer infektionshygienischen Begehung des städtischen Gesundheitsamtes wurden eine Vermüllung der Praxisräume und schwerwiegende Mängel in den Bereichen Hygiene und Arbeitsschutz festgestellt. Seit Jahren gültige Standards wurden nicht umgesetzt und waren auch nicht bekannt. Die zweite Begehung erfolgte zusammen mit dem Amtsarzt und einer Vertreterin des Regierungspräsidiums. Auch bei dieser zweiten Begehung wurde festgestellt, dass die infektionshygienischen Verhältnisse in der Praxis des Klägers den infektionshygienischen Anforderungen nicht einmal im Ansatz entsprachen und deswegen von einer erheblichen Infektionsgefahr für die Patienten auszugehen war. Es wurde eine größere Anzahl ursprünglich steriler Einmalprodukte gefunden, deren Verfallsdatum teilweise seit mehreren Jahren abgelaufen war. Auch waren Instrumente nicht verpackt oder verschmutzt.

Das Gericht bestätigte die Entscheidung des Berufungsausschusses, dem Kläger die Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung zu entziehen. Es liege eine gröbliche Pflichtverletzung vor, da die urologische Praxis ohne Beachtung der seit Jahren gültigen Hygiene- und Arbeitsschutzstandards betrieben worden sei. Auch habe der Kläger eine Untersagungsverfügung des Regierungspräsidiums nicht beachtet und Patienten im Wartezimmer trotz der Untersagungsverfügung weiterbehandelt. Auch hierin liege eine gröbliche Pflichtverletzung, die den Entzug der Zulassung rechtfertige. Der Entzug der Zulassung verstoße auch nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Es diene der Sicherung des gewichtigen Gemeinwohlbelangs der Funktionsfähigkeit der gesetzlichen Krankenversicherung, ausschließlich geeignete Ärzte zur vertragsärztlichen Versorgung zuzulassen.

  1. Das Apothekenwahlrecht der Versicherten nach § 31 Abs. 1 S. 5 SGB V findet im Hinblick auf die Versorgung mit Arzneimitteln durch eine Krankenhausapotheke keine Anwendung. Leistungserbringer sind im Hinblick auf das Wirtschaftlichkeitsgebot gehalten, den Versicherten rechtlich zulässige und mögliche Bezugswege von Arzneimitteln aufzuzeigen (Urteil vom 26.03.2019, S 5 KA 1359/17). 

Zwischen den Beteiligten war ein Arzneikostenregress von mehr als 14.000 € streitig. Die klagende Krankenkasse vertrat die Auffassung, dass der verordnende (Krankenhaus-)Arzt verpflichtet gewesen sei, ihre Versicherte mit Medikamenten aus der Krankenhausapotheke zu versorgen. Hierdurch hätten Kosten i.H.v. über 14.000 € eingespart werden können.

Das Gericht vertrat die Auffassung, dass Vertragsärzte generell verpflichtet sind, den Versicherten rechtlich zulässige und mögliche Bezugswege von Arzneimitteln aufzuzeigen. Dies gebiete das Wirtschaftlichkeitsgebot. Das bedeute auch, dass der verordnende (Krankenhaus-)Arzt bei der ambulanten Behandlung der bei der Klägerin Versicherten verpflichtet gewesen wäre, ihr das streitige Arzneimittel über die Krankenhausapotheke, die einen Vertrag mit den Krankenkassen bzw. den Krankenkassenverbänden geschlossen hatte (§ 129a SGB V), anzubieten. Zwar könne die Versicherte im Rahmen der ambulanten Behandlung nicht verpflichtet werden, dieses Angebot auch wahrzunehmen. Allerdings sei der verordnende (Krankenhaus-)Arzt im Hinblick auf das Wirtschaftlichkeitsgebot gehalten, der Versicherten diesen rechtlich zulässigen und damit möglichen Bezugsweg aufzuzeigen.

  1. Ein niedergelassener Kassenarzt muss seine vertragsärztliche Tätigkeit persönlich in freier Praxis ausüben. Schließt er mit einer Einrichtung einen Vertrag, durch den er faktisch seine freiberufliche Tätigkeit aufgibt und das unternehmerische Risiko in die Hände des Vertragspartners legt, verliert er seinen Honoraranspruch aus vertragsärztlicher Tätigkeit gegen die Kassenärztliche Vereinigung (Urteil vom 12. 10.2018, S 10 KA 1001/18).

    IX. Elterngeld 

  1. Ein Anspruch auf Gewährung von Elterngeld für Partnerschaftsbonusmonate nach § 4 Abs. 3 S. 2 BEEG besteht aufgrund unzulässiger Rechtsausübung nicht, wenn zwar eine Wochenstundenanzahl von 25 Stunden angegeben wird, der Kläger dafür aber als Geschäftsführer der eigenen GmbH sein Gehalt bis auf den Bezug des geldwerten Vorteils für die Pkw-Nutzung kürzt und sich darüber hinaus kein Gehalt auszahlt, um nicht das eigene Unternehmen mit einem Geschäftsführergehalt zu belasten, sondern dafür Sozialleistungen in Anspruch zu nehmen mit dem Ziel, einen Neuanfang mit dem eigenen Unternehmen zu ermöglichen. In diesem Fall entfällt das Einkommen nicht aufgrund der Betreuung des Kindes, sondern aus anderen Gründen, die nicht von Sinn und Zweck der Partnerschaftsbonusmonate erfasst sind (Gerichtsbescheid vom 07.06.2019, S 9 EG 3281/18). 

Die Beteiligten stritten darüber, ob dem Kläger Elterngeld für die Partnerschaftsbonusmonate zustand. Der Kläger beantragte gemeinsam mit seiner Ehefrau die Bewilligung von Partnerschaftsbonusmonaten ab dem 8. Lebensmonat des am 21.05.2017 geborenen Kindes. In der von ihm selbst ausgefüllten Arbeitgeberbescheinigung gab der Kläger als wöchentliche Arbeitszeit 25 Stunden und als Gehalt die stundenunabhängige Sachleistung in Form eines geldwerten Vorteils für die Pkw-Nutzung in Höhe von 1.591,00 € an. Dabei gab er gegenüber der Beklagten an, dass ein darüberhinausgehendes Gehalt nicht ausgezahlt werde, da dieses gerade durch die Elterngeldzahlung erreicht werden solle. Die Beklagte gewährte Elterngeld für den 1. bis 7. Lebensmonat des Kindes, lehnte die Bewilligung der Partnerschaftsbonusmonate aber ab. Das Einkommen im Bezugszeitraum entfalle nicht aufgrund der Betreuung des Kindes, sondern aufgrund der gewählten vertraglichen Gestaltung. Der Widerspruch, mit dem der Kläger geltend machte, dass die Ablehnungsgründe nicht plausibel seien und jeglicher gesetzlichen Grundlage entbehrten, wurde durch die Beklagte zurückgewiesen. Zur Begründung führte sie an, dass die Angaben zum Einkommen und der Wochenstundenanzahl von 25 Stunden während der Partnerschaftsbonusmonate nicht glaubhaft seien und die Rechtsgestaltung rechtsmissbräuchlich sei.

Das Gericht hat die Klage abgewiesen. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Gewährung von Elterngeld während der Partnerschaftsbonusmonate, da die von ihm gewählte rechtliche Gestaltung Sinn und Zweck der Partnerschaftsbonusmonate umgehe und daher eine unzulässige Rechtsausübung darstelle. Zum einen wirke sich die gewählte Rechtsgestaltung günstig auf die Bezugshöhe des Elterngeldes aus. Der Gehaltsverzicht sei zum anderen zeitnahe zum Bezugszeitraum erfolgt, da sich der Kläger während der ersten sieben Lebensmonate kein Gehalt auszahlte, sondern erst wieder zu Beginn des 8. Lebensmonats. Zudem habe der Kläger diese rechtliche Gestaltung nach eigenen Angaben nur deshalb vorgenommen, um eine über den geldwerten Vorteil für die Pkw-Nutzung hinausgehende Lohnauszahlung durch den Bezug von Elterngeld zu erreichen. Damit entfalle das Einkommen nicht aufgrund der Betreuung des Kindes, sondern aufgrund der Entscheidung des Klägers als Geschäftsführer, das eigene Gehalt zu kürzen, um nicht die eigene Firma mit einem Geschäftsführergehalt zu belasten, sondern dafür Sozialleistungen in Anspruch zu nehmen. Dies widerspreche dem Sinn und Zweck der Partnerschaftsbonusmonate, die wirtschaftliche Existenz von beiden Elternteilen auf Dauer zu sichern, die Gefahr der Abhängigkeit von staatlichen Transferleistungen zu mindern, Vätern und Müttern Zeit mit dem Kind zu sichern, ohne den Bezug zum Erwerbsleben zu verlieren und berufliche Entwicklungsmöglichkeiten von Frauen zu verbessern. Mit dieser Zielsetzung gehe insbesondere einher, dass bei der aufgenommenen Erwerbstätigkeit nicht nur die Arbeitszeit zwischen 62,5 bis 75 % einer vollen Erwerbstätigkeit betragen müsse, sondern sich dies auch in dem dafür gezahlten Gehalt niederzuschlagen habe. Dies sei bei dem Kläger nicht der Fall. Zuletzt entspreche die rechtliche Gestaltung des Klägers auch nicht dem, was unter Fremden üblich sei, so dass auch der Drittvergleich für die Unzulässigkeit der Rechtsgestaltung spreche.